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Wie wir Tage später herausfinden, hat Russland über Kasachstan eine neue atomar
bestückbare Langstreckenrakete getestet. Unbestückt natürlich. Die Rakete ist kurz nach
dem Start außer Kontrolle geraten und dann explodiert. Wir sind baff. War unsere Ver-
mutung doch gar nicht so falsch. Hätten wir das Ganze nicht gefilmt, würde ich kräftig
an meinem Verstand zweifeln.
Kasachstan ist so riesig und öde. Wie gerne würde ich mal wieder einen Wald sehen,
oder zumindest eine Ansammlung von ein paar Bäumen! Es ist heiß und das Radfahren
unglaublich anstrengend. Nicht allzu motivierend ist es, wenn man an einem Straßen-
schild vorbeifährt, das den nächsten Ort mit einer vierstelligen Kilometerzahl dahinter
anzeigt. Zum Beispiel: »Taras 1250 km« oder: »Urumqi 3120 km«. Und zu allem Un-
glück müssen wir da auch noch hin!
Weiterstrampeln und nicht zu viel nachdenken. Auch wenn nicht viel los ist, irgend-
ein Geräusch ist immer zu hören, und sei es noch so leise. Kein Wind, keine Vögel, kei-
ne Autos, keine Stimmen - trotzdem ist es nie still. Ich bin schon einmal 50 Meter tief
getaucht, und überall war Geräusch! So langsam gewöhne ich mich an das Leben, das
wir hier führen. Ich muss mich um nichts außer die ganz grundlegenden Sachen küm-
mern. Das, und dass ich ansonsten nur Rad fahren muss, lässt mich Dinge anders wahr-
nehmen. Ich fahre durch eine Gegend, in der nichts als Sand ist. Die Straße ist erst ein
paar Tage zuvor fertiggestellt worden und noch schwarz und glänzend. Es ist heiß, aber
ich habe Rückenwind, und den hört man im Gegensatz zum Gegenwind nicht, sodass
ich mich ganz auf das singende Geräusch meiner Reifen auf dem frisch gegossenen Belag
konzentrieren kann. Es ist so ein angenehmer Sound! Nimm das leichte Säuseln des
Sands dazu, der über die Straße weht und sich in meinen Felgen fängt. Wie ein ganz
leichter Regen. Ich spiele mit dem Klicken der Rohloff-Nabe, indem ich die Pedale lang-
samer oder sogar rückwärts trete. Je nachdem, in welchem Gang ich fahre und wie
schnell, klingt es höher oder tiefer. Mein Straßensound. Manchmal ist unter dem neuen
Straßenbelag die alte Straße aus aneinandergefügten Betonplatten zu spüren, dann gibt es
eine kleine, spürbare Narbe, etwa alle zehn Meter. »Tamtam … tamtam … tamtam …«
Mein Schnürsenkel schlägt sanft gegen den Flaschenhalter aus Aluminium - ein sauberes
»Pling«, exakt im Offbeat zum restlichen Sound. Ich könnte ewig so weitermachen. Je
genauer ich hinhöre, desto mehr entdecke ich und desto weniger bekomme ich mit, was
um mich herum geschieht …
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