Travel Reference
In-Depth Information
surd! Wir sitzen ja nicht vor der Kinoleinwand und gucken »Dr. Seltsam, oder wie ich
lernte, die Bombe zu lieben«!
Beide sitzen wir im Schlafsack auf unseren Isomatten und starren gebannt auf die
schnell größer werdende Wolke. Ich springe auf: »Siehst du das auch?«, schreie ich und
deute mit dem Zeigefinger auf einen gleißend hellen Punkt, der aus der Wolke aufsteigt.
Mir bleibt die Luft weg. Es ist totenstill, kein Wind, nichts ist zu hören. Ein kalter Schau-
er nach dem anderen läuft mir den Rücken herunter. Der Punkt beginnt, sich nun zu
drehen und versprüht Licht in alle Richtungen. Die leuchtenden Spiralarme werden im-
mer größer, bis sie sich auf einmal in einem lautlosen, gigantischen Lichtblitz auflösen.
Von der Stelle, an der eben noch der Punkt zu sehen war, breitet sich nun eine Druck-
welle aus Licht über das Firmament aus.
»Sie kommt auf uns zu«, sagt Paul wie versteinert.
»Was machen wir, was ist das?« Meine Stimme zittert. Wegrennen ist unmöglich, sie
bewegt sich schnell, viel zu schnell.
»Sterben wir, Hansen?«, fragt Paul leise.
Ich sehe, wie er nach seinem Handy greift, eine komische Reaktion. »Was machst du
da?«, frage ich.
»Ich weiß nicht … jemanden anrufen? Filmen?«
»Du kannst nichts machen, Paul, nur: mach niemanden da draußen verrückt! Wenn
das jetzt das Ende ist, ist das das Ende. Daran kann dein Handy auch nichts ändern.« Ich
höre mich diese Dinge sagen und bin seltsam ruhig. Kurz denke ich an die Möglichkeit
eines Kometeneinschlags, und dann doch wieder an eine Atomexplosion. Immerhin war
Kasachstan doch das Testgebiet der UdSSR im Kalten Krieg. Wer weiß, was aktuell in der
Welt passiert - was wissen wir schon? Wir haben seit Monaten keine Zeitung mehr gele-
sen. Meine Vermutungen überschlagen sich.
Ich lausche angespannt und versuche, irgendetwas wahrzunehmen, aber ich höre und
spüre nichts. Ich weiß, wie nervös Paul ist. »Wer weiß, wie verstrahlt wir jetzt sind? Vi-
elleicht sollten wir nach Aralsk reinfahren?«, frage ich.
Paul schweigt. Wir sitzen noch eine Zeitlang regungslos da. »Scheint nichts weiter zu
passieren«, sagt Paul. Langsam lässt die Anspannung nach, die große Frage bleibt. Was
zum Teufel war das gerade? Nach einer gefühlten Ewigkeit hole ich den Wodka raus,
den wir als Bakschisch oder auch für den nächsten ruhigen Abend mit einem Cowboy
gekauft hatten. Aber jetzt brauchen wir ihn dringender.
Search WWH ::




Custom Search