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»Tuuut!«, ein langgezogenes Hupen reißt mich aus meiner Trance. Es ist weder das
Quaken der kleinen kasachischen Autos noch das Heulen der Lkw, es ist eine Honda
Transalp, die ihren Fahrer André von Rosenheim nach Wladiwostok befördern soll.
»Hallo, ihr Radfahrer!«, ruft er durch das hochgeklappte Visier seines schwarzen Helms
und hält an. Dass er zu wissen scheint, wer wir sind, wundert uns inzwischen überhaupt
nicht mehr - der Straßenfunk funktioniert hier einwandfrei, vor allem, was die Reisen-
den betrifft. Jeder freut sich, wenn er auf der langen, öden Straße jemanden trifft, der in
einer ähnlichen Situation ist. Gut möglich, dass André auf Nils gestoßen ist oder auf Lu-
cie und Gilles, die beiden Franzosen, die mit ihrer weiß-blau-roten Ente auf dem Rück-
weg von Indien nach Frankreich sind und die wir erst vor ein paar Tagen getroffen ha-
ben.
»Habt ihr Lust auf ein Süppchen zum Mittagessen?«
»Aber klar doch!«, ruft Paul dem Motorradreisenden zu, und schon wird ein Topf
mit einer Tütensuppe aus Deutschland heiß gemacht.
In der staubigen Hitze der Straße gibt es weit und breit keinen Schatten, also stellen
wir Motorrad und Fahrräder um uns herum auf und hocken uns dazwischen. André ist
ein 21-jähriger Student und totaler Motorradfreak. Er hat sich fünf Monate Zeit genom-
men, um mit seiner Honda von Rosenheim bis an die östlichste Ecke Russlands nach
Wladiwostok zu fahren. Wir schwärmen von der Gastfreundschaft der Kasachen, unter-
halten uns über technische Probleme und Ersatzteilbeschaffung und übers Essen. André
gibt zu, dass er sich schon ziemlich auf das Wirtshausessen nach seiner Rückkehr freut.
»Dagegen hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden«, lache ich und löffele brav die Tü-
tensuppe.
Plötzlich kommt ein Bauarbeiter auf uns zu und macht warnende Bewegungen mit
dem Arm. Deutet immer wieder auf die Straße, zeigt mit seiner Hand Vertiefungen an
und richtet seinen Zeigefinger auf den Punkt, wo die Straße in der Horizontlinie ver-
schwindet. »Er meint die Straßenbauarbeiten«, übersetzt André und wiederholt das Zei-
chen. Der Kasache nickt. »Wir sollen vorsichtig sein, wegen der Löcher in der Straße.«
Wir bieten dem Mann ein bisschen Suppe an, die er dankend ablehnt. Er gibt uns noch
zu verstehen, dass heute Morgen drei Menschen umgekommen sind, weil die Straße an
einem Fluss plötzlich aufhöre - dort sei die Brücke noch nicht gebaut … Wir bedanken
uns, und er zieht weiter. »Krass, dass die hier nicht mal einfach ein paar große Schilder
aufstellen können. Das ist doch echt supergefährlich!«, sagt Paul.
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