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spannter wird, sobald wir Russland fristgerecht verlassen haben und in Kasachstan end-
lich kürzere Etappen fahren können.
Heute Abend sind wir von Campnachbarn mit beinahe körperlicher Gewalt in die
Wagenburg zum Wodkatrinken eingeladen worden. »Kommt schon, nur eiiin kleines
Gläschen!«, riefen sie uns ständig zu. Und dann: »Es ist sehr, sehr unhöflich, unsere Ein-
ladung auszuschlagen, Jungchens.« Unsere Erklärungen, dass wir uns keinen Kater leis-
ten können, wurden als schwache Ausreden abgetan. »Ich komm gleich, um euch rüber-
zuholen«, drohte Maria, die dicke Lkw-Fahrerin, und ließ uns vorerst mit unserem
Abendbrot (Nudeln mit Ketchup) allein.
Die beiden Wodka-Russen, Maria und Aleksej, haben uns schon oft auf ihrer Tour
zwischen Moskau und Penza gesehen, die sie fast täglich fahren. »Auf der M5, der Land-
straße zwischen Moskau und Samara, kennen euch inzwischen alle Trucker!«, erklärt
Aleksej und findet wie immer, dass das ein Grund für ein paar Gläschen ist. Das erklärt,
warum fast jeder Lkw uns anhupt: Das ist ihre Art, uns zu grüßen! Dass einen diese lau-
ten Tröten fast vom Rad hauen, spielt dabei keine Rolle. Übrigens können weder Aleksej
noch Maria Englisch oder Deutsch, und wir sprechen kaum mehr als ein paar lächerliche
Wortfetzen Russisch, aber mit Stöcken und unserer Sandtafel auf dem Boden haben wir
uns blendend verständigen können.
Die Einladung ist sicher lieb gemeint, aber bei unserem derzeitigen Zeitdruck und
den ohnehin schmerzenden Körpern, können wir uns nicht auch noch einen schweren
Kopf leisten, sonst riskieren wir, das Visum zu überschreiten. Also kriechen wir heimlich
ins Zelt und verhalten uns still. Ich höre, wie Maria noch ein Weilchen nörgelnd um uns
herumschleicht, aber zumindest versucht sie nicht, uns aus unserem Schlafsack zu zie-
hen.
Am nächsten Morgen kommt Aleksej noch einmal ganz zerknittert zu uns, um uns ei-
ne gute Reise zu wünschen, und schenkt uns zum Abschied seinen Kugelschreiber. »Da-
vai, Fortuna« , ruft er uns hinterher und verschwindet mit seinem Weißwein-Tetrapack -
offenbar sein Frühstück - wieder in seinem Lkw.
NATIONALFEIERTAG / 9. MAI / KURZ VOR KASACHSTAN
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