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Hansen
Ein Problem, das uns in der nächsten Zeit immer wieder die Nerven rauben wird, taucht
wie aus dem Nichts auf: Mücken. Supermücken, Terrormücken, eine ganze Mückenar-
mee, die es von jetzt an jeden Tag gnadenlos auf uns abgesehen hat. Wenn wir im Zelt
liegen, hämmern sie gegen die Zeltwand, die sie glücklicherweise davon abhält, über
uns herzufallen und uns auszusaugen. Morgens sprühen wir uns im Vorzelt mit Autan
ein und begegnen todesmutig unseren kleinen Feinden. Die Mücken hier sind nicht nur
deutlich zahlreicher, als ich es mir jemals erträumt hätte, sondern auch sehr viel aggres-
siver, und sie fliegen den ganzen Tag. Sie verfolgen uns auch auf dem Fahrrad und ste-
chen uns, während wir uns bewegen. Paul nennt sie scherzhaft »Mücke 2.0, Next Gene-
ration of the Beast«. Schneller, effizienter, aggressiver, 24/7 aktiv. Ich bin übersät mit
Mückenstichen, die besonders jucken, wenn man auf dem Rad genügend Zeit hat, über
sie nachzudenken. Manchmal fahren wir einhändig und kratzen mit der freien Hand im
Takt der Pedalumdrehungen unsere Waden.
Inzwischen ist es tagsüber brütend heiß, die Gegend wird immer eintöniger und
menschenleerer. Nur ab und zu sieht man noch halb verfallene Schrebergartenanlagen.
Die Birken, die aus den Schornsteinen und Mauern der Häuschen wachsen, finden wir
auch abseits jeglicher Behausung entlang der Straße wieder. Irgendwie hatte ich mir die
Landschaft hier schöner vorgestellt. Gelegentlich gibt eine Lücke in dem am Straßenrand
wachsenden und wahrscheinlich im Winter gegen Schneewehen dienenden Gestrüpp
den Blick auf endlose Weiden und Äcker frei, die vielleicht so manchem Agrarinvestoren
das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen, uns aber auf Dauer zu Tode langweilen.
Dazu kommt: Meine Knochen schmerzen. Die großzügig berechneten Tageskilometer
fordern ihren Tribut. Was für ein Trip. Er ist insgesamt schöner, als ich ihn mir vorge-
stellt habe, aber auch härter, als ich befürchtet hatte. Manchmal wünschte ich mir, ich
wäre die Kamera, die wir in unserer Radtasche mit uns herumtragen. Sie muss nur die
schönen und interessanten Dinge anschauen und bekommt von der gähnenden Lange-
weile dazwischen nichts mit.
»Woran denkst du?« Paul beobachtet mich schon seit einigen Minuten.
»Wenn ich einmal wiedergeboren werden sollte, möchte ich eine Kamera sein«, ant-
worte ich, und Paul schaut mich ratlos an.
»Wohl eher als Kamera-denschwein.«
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