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Plötzlich ist die Straße zu Ende. Ein Schlagbaum versperrt die Weiterfahrt. Wir fragen
uns kurz, warum, wundern uns aber nicht weiter, steigen ab und manövrieren unsere
Räder durch das dichte Gebüsch. Äste hauen uns ins Gesicht, das Gestrüpp wird dichter,
bis wir an eine freigeschlagene Schneise kommen - ein breiter, unbewachsener Streifen,
der mich an diese öden Todesstreifen damals zwischen West- und Ostdeutschland erin-
nert. Dahinter finden wir einen riesigen elektrischen Grenzzaun mit einem verschlosse-
nen Tor.
»Komisch, Paul, ist das jetzt die Grenze zu Litauen?«
»Keine Ahnung, lass mal versuchen, die Pforte zu öffnen.« Wir testen mit einem
Grashalm, ob der Zaun unter Strom steht und ruckeln an der Tür. Nichts tut sich.
»Was soll der Scheiß, wir wollen doch nur von einem Schengenstaat in den anderen
reisen, was soll diese beschissene Tür!«, schreie ich übertrieben laut, in der Annahme,
dass hier eh niemand ist, und stemme mich mit aller Gewalt gegen die Pforte. Nichts.
»Komm, Hansen, vergiss es, an dieser Stelle kommen wir nicht durch und nicht drü-
ber, lass uns zurückfahren«, ruft Paul.
Ich laufe noch kurz an dem Zaun entlang und bleibe plötzlich stehen: »He Paul, ein
Bewegungssensor!« Ich trete gegen den feinen Draht, der fast unsichtbar über den klei-
nen Pfad gespannt ist. War Litauen wirklich so abgeschottet von Polen? Die Sache wird
uns langsam unheimlich, und wir beschließen, den Umweg in Kauf zu nehmen.
Es gibt nichts Schlimmeres, als eine eben gefahrene Strecke auf demselben Weg zu-
rückzufahren. Und das ganze 30 Kilometer - macht 60 Kilometer Umweg, ich könnte
ausflippen. Als wir gerade wieder polnisches Land betreten, empfangen uns zwei polni-
sche Grenzpolizisten und verlangen unsere Pässe. »Warum wollten Sie über die Grenze
nach Russland eindringen?«, fragt der eine streng.
Wir sind baff. Russland?! Das sollte doch Litauen sein!
»Nix Litauen. Russland, Kaliningrad!« Der Mann guckt schrecklich böse. Paul schaut
mich entsetzt an, und der Grenzpolizist hält uns ein Ständchen, während der andere un-
sere Ausrüstung grimmig mustert. Wir haben an der falschen Tür angeklopft. Unser GPS
hat uns tatsächlich an die falsche Grenze geschickt!
Kurze Zeit später erwacht die russische Seite zu Leben. Militärs in Tarnkleidung mit
steifen, großen Tellermützen, Uschankas und Kalaschnikows samt ruppiger Spürhunde
säumen die Grenze. Eine ganze Armee, mindestens zwanzig Mann, durchkämmen das
Gelände. Erstaunlich ist, dass die russischen Grenzpolizisten peinlich genau darauf ach-
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