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stehen. Das warme Licht und die Vorstellung, sich dort in ein trockenes Bett zu legen
und endlich schlafen zu können, ist nicht länger auszuhalten. Wir geben nach und neh-
men uns vor, dafür morgen, an unserem letzten Tag, 25 Kilometer mehr zu fahren.
»Jetzt sind es noch genau 200 Kilometer bis nach Sanghai«, sage ich, während ich mir
meine Schuhe aufmache, »wenn wir das morgen schaffen, dann sind wir drei Tage hin-
tereinander mehr als 200 Kilometer am Tag gefahren, das ist echt unglaublich!« Paul
brummt nur bestätigend und eher unbeeindruckt und dreht sich auf die Seite.
»Reise, Reise, Hansen«, singt Paul in mein Ohr, um mich aufzuwecken. »Reise, Reise«,
sind die magischen Worte, mit denen uns unsere Eltern früher am Urlaubsabfahrtstag
aus den Betten geholt haben. Das konnte mitten in tiefster Nacht sein - wir waren keine
zwei Minuten später reisebereit. Es ist einer dieser heiligen Sätze, die einen ganz beson-
deren Klang in meinen Ohren haben. Etwas Großartiges steht unmittelbar bevor!
Und auch jetzt, nach dem gestrigen Höllenritt, funktioniert er. Innerhalb von 20 Mi-
nuten sitzen wir startbereit im Sattel. »Zum letzten Mal«, sagt Paul bedeutungsvoll, ich
nicke ihm zu, und wir fahren los.
Der Nebel hängt immer noch über der Straße, trotzdem schaffen wir bereits in den ers-
ten beiden Stunden 60 Kilometer. Wir haben ein bisschen ausgemistet, Dinge, die wir
für die letzte Etappe nicht mehr brauchen werden, zum Verschenken auf die Straße ge-
legt, zum Beispiel ein Fernglas, Zeltheringe, Angelzeug und ein Teppichmesser, sodass
die Räder jetzt ein bisschen leichter sind. Unser Ziel ist, in Shanghai anzukommen, bevor
es dunkel ist. Die Leuten, die uns für ein Foto anhalten wollen, ignorieren wir eiskalt, da
wir nur noch eins im Kopf haben: ankommen. Wir sind The Unstoppables, die Turbo-
Twins! Der größte Teil der Strecke ist eine neu ausgebaute große Straße, was das Fahren
um einiges leichter macht, der Nachteil ist, dass es weder Kiosk noch Restaurants gibt,
um eine Pause einzulegen. Niemals auf der ganzen Tour haben wir eine derartige Sprint-
serie vorgelegt. Und das mit Gegenwind! Während einer von uns beiden gegen den
Wind ankämpft, ruht sich der andere im Windschatten aus, nach 20 Kilometern wird
gewechselt, die bewährte Methode, und das Ganze in einer Geschwindigkeit von
30 Stundenkilometern! Ich spüre keine Schmerzen, ich fühle weder Wehmut noch Er-
schöpfung. Ein letztes Mal alles geben, nicht nach Shanghai reinkriechen, sondern mit
wehenden Fahnen Einzug halten.
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