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Nach drei Stunden und 40 Minuten haben wir schon 100 Kilometer geschafft. Plötz-
lich klingelt Pauls Telefon. »Das war China Daily«, sagt er. »Das ist Chinas größte Zei-
tung, die wollen ein Interview mit uns!«
»Krass«, sage ich. »Das scheint sich ja herumgesprochen zu haben!«
Es ist erstaunlich, wer unseren Blog alles liest und was daraus entsteht. Inzwischen
wissen wir, dass die Filmproduktion tatsächlich eine Doku aus unserem Bildmaterial dre-
hen wird, und es wird das Buch geben, das wir uns gewünscht und all den Leuten ver-
sprochen haben, die uns unterstützen. »Ich habe so eine Ahnung, dass die Zeit nach der
Tour nicht unbedingt entspannend wird«, lacht Paul. Umso besser. Ich freue mich gera-
de wahnsinnig darauf, allen zu Hause von der Tour zu erzählen. In einem Supermarkt
decken wir uns mit Energienahrung ein: Schokolade, Red Bull und Bananen, und starten
den nächsten großen Sprint auf einer riesigen autobahnähnlichen Straße, die uns direkt
ins Zentrum von Shanghai führen wird.
Die Kilometer schmelzen, wir fahren wie in Trance, denn selbst wenn das Adrenalin
und die Energydrinks unseren Kopf einigermaßen wach halten, der Körper wird müde.
Die Erschöpfung übermannt uns, und wir müssen immer wieder kleine Pausen einlegen,
um auf dem Rad nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Beim Absteigen muss ich mich
mit beiden Armen am Lenker festhalten. Meine Oberschenkel brennen, meine Schultern
schmerzen. »Noch im Hellen anzukommen, wird unmöglich sein«, versuche ich vor-
sichtig, aber Paul hat schon dasselbe beschlossen. »Die Stadt ist doch eh immer hell«,
sagt er und wir nehmen uns vor, langsamer zu fahren. Nach einem kurzen Abstecher in
einen gigantischen Carrefour-Supermarkt fahren wir bepackt mit einer in Eis lagernden
Flasche Champagner für die große Ankunft weiter. Um uns herum wird es immer städti-
scher, die Gebäude wachsen und die Sicht beschränkt sich immer mehr auf die Straße.
Hier gibt es keine Reisfelder, dafür mehr und mehr Autos. Als es dunkel wird, färbt die
Neonreklame den Himmel violett. Nur noch zehn Kilometer. Meine Hände zittern, und
mein Herz hüpft mir fast aus dem Brustkorb bei dem Gedanken, es gleich geschafft zu
haben.
»Sei vorsichtig, konzentriere dich, sei wachsam!«, haben wir uns immer wieder ein-
gebläut, es wäre zu blöd, wenn auf diesen letzten paar Kilometern irgendetwas passieren
würde. Wenn man so müde und zugleich aufgeregt ist, kann man schnell einen Lkw
oder eine rote Ampel übersehen. Der Kampf gegen Müdigkeit und Erschöpfung ist
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