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durchaus weit ist, vor allem wenn man nichts zu essen hat. Ich frage ihn, ob nicht er uns
ein paar Dollar gegen Yuan wechseln kann und schlage ihm einen guten Kurs vor. Aber
er winkt lachend ab: So etwas mache er nicht, gibt er uns zu verstehen, als ob ich etwas
Unanständiges von ihm verlangen würde. Ich erkläre ihm noch mal unsere Situation,
denn er scheint noch immer nicht zu verstehen, dass wir weder ein Hotel noch essen be-
zahlen können. Und plötzlich wird alles ganz einfach. »How much do you need?« , fragt er,
und ich zeige ihm einen 20-Dollar-Schein. »Ohhh«, lacht er, und sagt, wir sollen kurz
hier warten, er wäre gleich zurück. Keine zwei Minuten später komm er wieder und gibt
uns 100 Yuan. Als ich ihm die 20 Dollar dafür geben will, lehnt er das ab und meint,
das wäre unfair, der Kurs sei zu schlecht, er will unser Geld nicht. Ich bin platt, und das
ist noch nicht alles. Kaum hat er uns das Geld gegeben, geht in der Menge etwas herum
und nach kurzer Zeit steckt uns jemand anders einen Haufen gesammeltes Geld zu. Ich
traue meinen Augen nicht, es sind weitere fast 50 Yuan, und hier und da tröpfelt noch
ein Schein nach. »Das ist Crowdfunding mal anders«, sagt Hansen, ebenso baff. Unser
ganzer Auftritt hat für viel Aufsehen gesorgt, und so kommen immer mehr Leute und
schauen, bis schließlich ein weiterer zu uns auf die »Bühne« kommt und erst mir und
dann Hansen jeweils einen 100-Yuan-Schein zusteckt, und nach einem kurzen Fotos-
hooting mit uns in der Menge verschwindet. »Sowas hab ich noch nicht erlebt«, sage
ich komplett erstaunt über die Dynamik und die unglaubliche Großzügigkeit. Unser Pro-
blem hat sich gelöst, ganz anders als ich es mir jemals zu träumen gewagt hätte. »Wir
haben gut 350 Yuan, damit kommen wir locker bis nach Yichang!« Erleichtert und
schwer beeindruckt von der großartigen Hilfsbereitschaft verabschieden wir uns und su-
chen uns ein günstiges Hotel.
Die Situation hat mir wieder gezeigt, wie falsch ich die Menschen oft einschätze. Die
am Anfang so nervende und gaffende Menge war keinesfalls teilnahmslos, sondern auf
ihre Art äußerst hilfsbereit. Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, weil ich zu Unrecht
derart misstrauisch war. Wie konnte ich so harsch reagieren? Warum fahre ich einfach
durch und maße mir an, Dinge nach meinen Maßstäben zu beurteilen? Ich will den Rest
der Reise den Chinesen mit mehr Offenheit und Vertrauen begegnen.
Kaum haben wir am nächsten Tag den wirklich allerletzten Pass der Tour hinter uns ge-
lassen und sind in Yichang angekommen, scannen wir die Straßen nach Fahrradläden,
um unsere Bremsbacken zu ersetzen. Auf einmal ruft jemand über eine Kreuzung: »Hey,
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