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110 Kilometer. Aus dieser Kleinigkeit entwickelt sich zwischen uns in kürzester Zeit ein
heftiger Streit. Wir brüllen uns an und schmeißen uns die übelsten Dinge an den Kopf,
und letztendlich habe ich keinen Bock mehr, mit Hansen zu fahren und lasse ihn alleine
vorfahren. Er verschwindet in den Serpentinen, während ich am Straßenrand sitze und
versuche, mich abzuregen. Nach sechs Monaten Zweisamkeit reicht's schlicht. Ich brau-
che mal wieder andere Menschen um mich herum, die unsere Bruderbeziehung relati-
vieren. Ich glaube, das geht Hansen nicht anders. Die Vorstellung, zurück in die gemein-
same Wohnung in Berlin zu gehen, ist mir gerade ein Graus. So lieb ich ihn habe, so
wichtig wir einander sind, einer muss ausziehen - es wird Zeit, dass wir eine Pause ein-
legen. Aber kaum denke ich darüber nach, einen anderen Mitbewohner zu haben, merke
ich, wie schwer es wird, ihn zu ersetzen.
Wie immer, sobald die Aufregung sich gelegt hat, fahre ich weiter und hole ihn eini-
ge Kilometer weiter oben in den Bergen ein, wo er auf mich gewartet hat. Natürlich
würden wir nie die letzten Kilometer nach Shanghai alleine fahren. Und immerhin ha-
ben wir beide Dampf abgelassen. Trotzdem … immer noch missmutig und stumm fah-
ren wir weiter.
Wir haben kein Geld mehr, die Banken in dieser Provinz akzeptieren unsere Karten
nicht, und so fahren wir mit nichts als dem dürftigen Frühstück und ein paar hartge-
kochten Eiern im Magen so weit, bis ich einfach nicht mehr kann. Wir suchen alles zu-
sammen, was wir noch haben, und essen ein eher ekliges, aber immerhin nahrhaftes
Mahl, bestehend aus keimenden Knoblauchzehen, Tomatenmark, Dosenfleisch, das
riecht und schmeckt wie Katzenfutter, etwas Honig, den wir mit Wasser vermischt trin-
ken, und etwas Olivenöl.
Wir fahren weiter nach Yichang, wo wir wieder vergebens versuchen, Geld abzuhe-
ben. Auch unsere Not-Dollars will uns keiner wechseln, und so stehen wir ziemlich ver-
zweifelt in einer recht großen Stadt, und um uns herum bildet sich eine Menschenmen-
ge, die unser Problem mitverfolgt. Einer tritt hervor und sagt das einzige Wort, dass
mich jetzt gerade schier zur Weißglut bringt: »Okay?« Ich explodiere innerlich, halte
mich aber zurück und sage in scharfem Ton: »Not okay, we have problem, not okay.« Etwas ver-
dutzt über meine ernste Antwort fragt er in gebrochenem Englisch, ob er helfen könne,
und sofort tut mir meine Ungehaltenheit schrecklich leid. Ich erkläre ihm so gut es geht
unser Problem. Um Geld zu wechseln, müssen wir nach Enshi oder Badong fahren, er-
klärt er uns, das sei nicht weit. Leider versteht er nicht, dass 80 Kilometer mit dem Rad
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