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wir unsere Abfahrt unterbrechen müssen. Eine halbe Ewigkeit sitze ich in dem kalten
Wind am Straßenrand und krümme mich. Als es nicht besser wird, beschließen wir wei-
terzufahren, um schnell einen Schlafplatz zu finden. Wir ziehen uns zusätzlich zu den
Handschuhen Socken über die Hände, um die vor Kälte tauben Fingerspitzen zu wär-
men. Das letzte Stück fahren wir hinter einem Lkw her, dessen Abwärme von den Brem-
sen unsere Finger ein paar Grad wärmer werden lässt und dessen Rücklicht uns den Weg
weist. Es kostet Überwindung, den schützenden, warmen Dunst zu verlassen, als wir ei-
ne einigermaßen ebene Stelle für unser Lager am Straßenrand finden.
So froh ich bin, den vorletzten Pass auf unserer Tour gemeistert zu haben, so sicher
weiß ich, dass ich so etwas nicht noch einmal machen werde! In der Nacht im Regen auf
einen 4300 Meter hohen Pass hoch-, und vor allem wieder abzufahren, das war echt die
Hölle! »Wir sind echt hart«, sagt Hansen zitternd, als wir die Steine zusammensuchen,
um die Zeltecken zu befestigen, denn in den Boden lassen sich keine Heringe hinein-
drücken. »Wir fahren nachts im Regen im Himalaja über 4300 Meter hohe Pässe, nur,
um es hinter uns zu bringen.«
»Hart und doof«, ergänze ich.
In Fleisch und Blut übergegangene Morgenroutine: Ich greife mit der rechten Hand in
den Lenker meines Rads und schwinge das linke Bein über die vollbepackten Sattelta-
schen auf die andere Seite. Sobald ich darüber stehe und es zwischen meinen Beinen
stütze, klappe ich den Ständer ein und löse mit der linken Hand die selbst gebaute Hand-
bremse und Lenkersperre. »Haben wir alles?«, rufe ich Hansen zu, rüttele erneut an
meinem Rad, um zu sehen, ob alles sitzt, nicke, ziehe das rechte Bein mit der Pedale an,
sitze endlich auf dem Sattel und trete in die Pedale. Die starken Schwankungen bei lang-
samer Fahrt mit viel Gepäck gleiche ich mit dem Oberkörper und durch ruckartiges Len-
ken aus. Das morgendliche Packen, Ausbalancieren und Anfahren ist für uns zu dem ge-
worden, was vor ein paar Monaten noch der Weg zur U-Bahn in Berlin war.
Jetzt sitzen wir beide fest im Sattel und kurbeln, abwechselnd ziehend und drückend,
die Pedale in eine gleichmäßige Bewegung - kein Stampfen oder ruckartiges Treten,
sondern eine regelmäßige, ruhige Kraft. Sobald der Kreislauf in Schwung ist, nehmen
wir mehr Fahrt auf, und so beginnt ein ganz gewöhnlicher Radtag im Himalaja. Die fast
1000 Höhenmeter fahren wir ohne Pause in engen Serpentinen hoch. Ich habe heftige
Höhenangst, wenn der Weg über Brücken führt, die den Blick ins mehrere Hundert Me-
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