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ter tiefer liegende Tal freigeben. An der »Abbruchkante« des Himalaja, wie Hansen es
nennt, kann man wirklich mit sehr steilen Bergen rechnen, die zwar nicht besonders
hoch, aber dafür umso spektakulärer sind. Wir halten nur einmal kurz an, um für einen
der großzügigsten Unterstützer dieser Abenteuerreise einen Baum mit dem seit Berlin
mitgetragenen Messingschild mit eingraviertem Namen zu benennen.
Leider müssen wir feststellen, dass vor den letzten Pass des Himalaja ein Tunnel ge-
baut wurde und der Gipfel nicht mehr befahrbar ist.
»Was jetzt Hansen?«
»Was jetzt? Wir müssen da durch!«
»Oh Gott, erst Höhenangst, später Klaustrophobie, das ist nicht mein Tag heute«,
jammere ich, und Hansen wirft mir einen strafenden Blick zu.
Kurz vor der bedrohlich langen und dunklen Röhre halten wir an, installieren die
Lichter und ziehen uns warm an, denn aus dem Loch pfeift uns ein eisiger Wind entge-
gen. Ohne zu wissen, wie lang der Tunnel genau ist, fahren wir schnell hinein und las-
sen das sonnige Wetter auf der Westseite des Bergkammes hinter uns. Wir geben unser
Bestes, möglichst ohne Verkehr hindurchzukommen, denn es gibt kaum Ausweichmög-
lichkeiten. Aber es ist hoffnungslos. Der enge Tunnel erweist sich als mehrere Kilometer
langes Nadelöhr, durch das sich, wer diesen Gipfel hinter sich lassen möchte, hindurch-
fädeln muss. Staub und Wind bilden einen undurchsichtigen Nebel. Nur alle zig Meter
sind schummrige Lampen installiert. Ein gruseliges Dröhnen von den herannahenden
Motoren begleitet uns, immer wieder blicken wir uns panisch und ruckartig um, um im
Fall der Fälle vor den Lkw schnell auf die erhöhte Seite auszuweichen. Nicht nur einmal
retten wir uns in schmale Ausweichbuchten, ein bisschen erinnert mich das an ein Vi-
deospiel, bloß dass es hier nur das eine Leben gibt.
Als endlich am Ende des Tunnels ein Lichtpunkt zu sehen ist, steigen wir in die Peda-
le, als wäre es die Ziellinie der Tour de France auf den Champs-Élysées und erreichen
keuchend und erleichtert den Ausgang. Auf der anderen Seite des Tunnels ist die Welt
eine andere: Statt steiniger Höhen erstreckt sich ein tiefes Tal mit dem urigsten Urwald,
den man sich nur vorstellen kann. Riesige, lianenbehangene Bäume, Farne, Bambus,
Wasserfälle und eine Geräuschkulisse wie im Zoo. Wolken und Nebel hängen zäh in den
sattgrünen, nasstriefenden Bäumen. Auch das Klima hat sich schlagartig geändert. Es ist
warm, fast stickig und schwül. Weiter vorne verschwindet die Straße in gewagten Kur-
ven unter riesigen, moosigen Felsüberhängen. Nach einer kurzen Pause strahlt Hansen
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