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Reis mit Yakbutter auf dünnen Stäbchen (unser einziger Löffel ist zerbrochen und Ersatz
schwer aufzutreiben) über meine rissigen Lippen in den Mund zu balancieren?
Das Feuer im kleinen Ofen knistert. Wir haben nach dem Abendessen noch ein biss-
chen von dem eigentlich fürs Frühstück reservierten Holz nachgelegt. Unsere tägliche
Holzsammelaktion hat diesmal nur eine spärliche Ausbeute ergeben. Bevor wir in die
kalten Schlafsäcke kriechen, wollen wir aber unsere Füße noch einmal nah an den hei-
ßen Ofen stellen, um sie ein wenig zu wärmen. Die Schuhe trocken langsam, der aus ih-
nen aufsteigende Wasserdampf ist in dem Licht des Feuers kaum vom Rauch zu unter-
scheiden, immer wieder fühlen wir an der Gummisohle unseres einzigen Schuhpaars, ob
sie zu heiß werden und sich eventuell unbemerkt Rauch unter den Wasserdampf ge-
mischt hat. Sobald die Wärme ins Blut übergeht, überkommt mich eine angenehme Mü-
digkeit, Paul reicht mir den letzten Schluck Bier aus der Dose, die wir heute Mittag in ei-
nem kleinen Laden am Straßenrand ergattern konnten. Der Himmel hat aufgeklart, und
ein sagenhafter Sternenhimmel wölbt sich über uns und den schneebedeckten Bergen,
die uns in einem weiten Halbkreis umgeben. Kein Haus, keine Laterne, kein Auto, keine
Menschenseele weit und breit zu sehen. Der Wind legt sich, unser Feuerchen glimmt
noch ein wenig und erlischt dann gnadenlos. Keine Chance, es noch einmal anzufachen
und die gemütliche Wärme zu verlängern. Eine perfekte Stille kehrt ein, und wenn Paul
nicht gerade mit einem Stöckchen in der Asche hantiert, kann ich den eigenen Herz-
schlag hören. Beinahe ist es beängstigend, so, als wäre man plötzlich taub, und anderer-
seits gibt es keinen friedlicheren, stimmungsvolleren Moment. Ein unglaubliches Glücks-
gefühl übermannt mich, wie ich es trotz der unmenschlichen Anstrengungen im Hima-
laja in den letzten Tagen schon öfter verspürt habe. Ich schaue Paul an und sehe, wie er
ebenfalls in den Himmel schaut und zufrieden seufzt. Keine Schokoladentorte der Welt
würde mich jetzt hier weglocken, und ich vermute: Paul auch nicht.
Je weiter wir an Yushu herankommen, desto desaströser wird die Verwüstung. Yushu
war das Zentrum des Erdbebens, das vor zwei Jahren fast 2700 Menschen das Leben ge-
kostet hat. Eine riesige Zahl, vor allem, wenn man bedenkt, wie dünn die tibetanische
Region besiedelt ist. Auch in dem kleinen Örtchen Zhidoi, an dem wir gerade vorbei-
kommen, stehen nur noch wenige Häuser, und viele der Kinder und Jugendlichen haben
große Narben an Händen und im Gesicht oder sogar ganze Gliedmaßen verloren. Ein
riesiger Schutthaufen ist im Zentrum des Dorfes aufgeschüttet und mit unzähligen Ge-
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