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denken, denen das Wasser alles weggerissen hat. »Ist dir eigentlich klar, dass wir hier
komplett auf uns gestellt sind«, habe ich Paul gefragt. »Wenn irgendwas passiert, ein
Unfall im Fluss, ein Schlangenbiss, Krankheit oder so, kommt kein Schwein vorbei. Es
sind fast 100 Kilometer in jede Richtung ohne andere Menschen, und noch weiter bis
zum nächsten Arzt.« Und gerade, als ich das ausgesprochen hatte, und wir den Gedan-
ken abgeschrieben hatten, vor Yushu überhaupt einer Menschenseele zu begegnen, rollt
ein tibetanisches Pärchen auf seinem bunt geschmückten Motorrad die Sandpiste ent-
lang. Die beiden zeigen uns eine Quelle, an der wir unsere Wasservorräte mit besonders
klarem Wasser auffüllen können, wir teilen unsere Army Biscuits mit ihnen und verab-
schieden uns so wortlos, wie wir uns begegnet waren.
Ständig begegnen wir kleinen Herden wilder Esel. Die zierlichen Tiere haben eine fast
schon zirkusreife Nummer drauf. Jedes Mal, wenn sie stehen bleiben, stellen sie sich in
einer Reihe nebeneinander auf und schauen mit zur Seite gedrehten Köpfen zu uns her-
über - fast wie die Background-Sänger bei einem Konzert.
Am Abend lassen wir uns wieder am steilen Ufer eines großen Flusses nieder. Auf der
Suche nach einem geeigneten Zeltplatz mit ebenem Untergrund stoßen wir auf kleine
Steinhaufen. Sie bestehen aus allen möglichen Formen von Steinen, die aufeinanderge-
schichtet sind. Auf den Steinen sind seltsame Muster und Zeichnungen zu erkennen, die
wahrscheinlich in mühevoller Arbeit in diese hineingemeißelt wurden. »Das sind wohl
so was wie Gebetssteine«, sagt Paul, der einen davon etwas näher betrachtet. »Die Zeich-
nungen sind zumindest sehr ähnlich wie die Buchstaben des tibetanischen Alphabets.«
Um den kleinen Haufen Respekt zu zollen, beschließen wir, die willkommene Sitzgele-
genheit nicht als solche zu benutzen und unser Zelt ein paar Meter weiter aufzuschlagen.
Und wieder haben wir eine unglaubliche Sicht. Als der Mond aufgeht, schimmert sein
Schein auf dem silbrigen Fluss, der wie ein Adergeflecht in unzähligen kleinen Armen
die Ebene hinabfließt. Der Mond erleuchtet die Landschaft so hell, dass wir sogar am
weit entfernten Horizont noch den Gletscher sehen können.
Am nächsten Morgen stehen wir mal wieder richtig früh auf. Schon um acht Uhr sitzen
wir auf den Rädern und strampeln der aufgehenden Sonne entgegen. Mehrfach sehen
wir kleine glasklare Seen neben der Straße, die aber wegen ihrer morastigen Ufer für uns
unerreichbar sind. Am Abend finden wir eine leerstehende tibetanische Hütte. Da es an-
gefangen hat zu regnen, sind wir froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und eine Gele-
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