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»Paul!«, schreie ich, »Paul!« Ich bin vollkommen außer mir. Ich halte an, lasse mein
Fahrrad fallen und renne zu ihm hin, aber bevor ich ihn erreichen kann, sehe ich, wie er
unter dem Rad hervorkriecht und sich aufrecht hinsetzt. Als er mein Gesicht sieht, sagt
er: »Alles okay, ich hab noch mal Glück gehabt.« Aber das sieht mir nicht so aus. Er ist
käseweiß im Gesicht, und seine Augen flackern unruhig umher. Sein Oberkörper wippt
leicht auf und ab. Ich sehe, wie sich sein T -Shirt am Rücken blutig färbt. »Paul, du bist
nicht okay, da ist überall Blut«, schreie ich. Paul scheint in einem Schockzustand zu sein.
Als er auf sein rechtes Knie schaut, das inzwischen völlig blutüberströmt ist, scheint es
so langsam in seiner Schaltzentrale anzukommen. »Scheiße, Hansen«, sagt er weinerlich,
»hoffentlich hab ich mir nichts gebrochen.« Ich entdecke immer mehr Schürf- und
Schnittwunden, die ihm der ausgerechnet hier besonders grobe Asphalt tief in die Haut
gerissen hat. Rechter Handballen, Ellenbogen, Schulter und Knöchel haben Schnitte. Der
ganze rechte Arm ist verschrammt, ein dickes Loch klafft über dem Hüftknochen. Am
Schlimmsten hat es das rechte Knie erwischt. Direkt über der Kniescheibe und der dar-
unterliegenden Sehne sind zwei Schürfwunden, die aus mehreren wie mit einem Käse-
hobel geriebenen, tiefen Furchen bestehen. Plötzlich ruft er: »Hansen, das Adrenalin
lässt nach, der Schmerz kommt, Hansen, schnell, hol das Desinfektionsmittel und die
Schmerzmittel!«, schreit er mich an. Das Erste-Hilfe-Set haben wir glücklicherweise im-
mer gut erreichbar in einer Außentasche verstaut, sodass es keine zehn Sekunden dauert,
bis ich es habe. Mit einer in Wasserstoffperoxid getränkten Kompresse reibe ich Paul
mehrmals fest durch die größten Wunden, solange der Adrenalinschub noch anhält, da-
nach wird es nur noch mehr weh tun.
»Hast du dir was gebrochen«, frage ich aufgeregt und voller Angst vor der Antwort.
Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Paul etwas bricht und bei so einem Sturz nicht ge-
rade unwahrscheinlich. »Ich hoffe nicht«, antwortet Paul und überprüft vorsichtig seine
Gelenke. »Nein, es scheint nur oberflächlich zu sein, keine Brüche«, sagt er und legt sich
langsam auf den Rücken. Er zittert jetzt am ganzen Körper. Sorgsam verbinde ich seine
Wunden. Das Letzte, das wir gebrauchen können, ist eine Entzündung, damit wäre die
Tour gelaufen. Mit zusammengebissenen Zähnen erträgt Paul, wie ich die Fettgaze und
Kompressen auf die Schürfwunden lege und mit viel Druck abbinde. Aus seiner Hüfte
muss ich einen Kieselstein entfernen, der sich tief unter die Haut geschoben hat. »Du
siehst aus wie ein Flickenteppich«, versuche ich ihn aufzuheitern.
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