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Hansen
Je eintöniger die Wüste, desto mehr finden wir Dinge, mit denen wir uns ansonsten be-
schäftigen können. Seit Tagen sind wir mal in der Theorie, mal in der Praxis damit be-
schäftigt, den perfekten Ofen samt Ofenrohr zu bauen, zählen Kamele und feilen daran,
unsere Fahrtechniken zu verfeinern. Das Windschattenfahren treiben wir auf die Spitze,
indem wir in ziemlich hohem Tempo beinah Hinterrad an Vorderrad fahren und auf
diese Weise gut vorankommen. Der Leidtragende ist dabei immer der Voranfahrende,
der nicht nur den Wind, sondern auch den Sand abfangen muss. Des einen Leid, des an-
deren Freud - dass man nicht immer alles gleichzeitig haben kann, haben wir mittler-
weile gelernt, und dass die Rollen immer wieder neu verteilt werden, auch. Im Moment
bin ich der Glückliche.
Nach einer Weile begegnet uns ein Motorradfahrer, der seinen Blick nicht mehr von
uns abwenden kann. So dicht, wie wir fahren, müssen wir aussehen, wie ein voll be-
packtes Tandem, eine Art Fahrradkamel. »O nein, jetzt ist er in den Graben gefahren!«,
ruft Paul mir über die Schulter zu. Ich lasse mich zurückfallen. Tatsächlich, der Typ ist
von der Fahrbahn abgekommen und hat sich auf die Schnauze gelegt. Glücklicherweise
ist er langsam gefahren, und als wir umkehren wollen, um ihm zu helfen, hat er sein
Motorrad schon aufgerichtet und fährt weiter. Das Gleiche passiert einem Autofahrer di-
rekt vor uns nur zwei Stunden später, erneut geht alles gut. »So langsam frage mich, ob
wir das verantworten können, hier einfach so auf zwei Rädern entlangzufahren«, lacht
Paul. »Auch so eine Sache, die wir zählen könnten«, witzle ich. Wir fahren weiter, und
nach 10 Kilometern gibt mir Paul das Zeichen zum Wechsel. Heute Morgen haben wir
bereits einen neuen Sprint-Rekord aufgestellt: 70 Kilometer in zwei Stunden. Wenn wir
jetzt noch einen weiteren Sprint einlegen, können wir der Mittagshitze mit einer wohl-
verdienten und ausgiebigen Pause entfliehen.
Plötzlich ein lautes Krachen direkt hinter mir. Schon bevor ich hinschaue, weiß ich,
was passiert ist. Das war kein Motorrad, kein Autofahrer, das war Paul, den ich eben erst
überholt habe. Ein Sturz bei vollem Tempo! Tausend Gedanken schießen mir durch den
Kopf. Wie konnten wir so unvorsichtig sein, was passiert da? Ich schaue über meine
Schulter und sehe, wie Paul bei voller Geschwindigkeit neben seinem Fahrrad über den
Asphalt fliegt, das Vorderrad ist zur Seite weggerutscht. Das Rad fällt auf ihn drauf. Paul
und das Rad schleifen noch etwa fünf Meter über die Straße. Mir bleibt die Luft weg.
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