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mer noch dasselbe von damals, es hat mich nach Australien, Thailand, nach Honduras
und überallhin begleitet, wie ein kleiner gepunkteter Schutzengelflügel. Hansen hat sei-
nes verloren, als wir einmal auf der Nordsee mit der Segelschule in Seenot geraten sind.
Am nächsten Tag, als es wieder windstill war, haben wir stundenlang danach gesucht,
aber natürlich nichts gefunden. Vor der Reise nach Shanghai hat ihm seine Exfreundin
Rike ein neues genäht. So gut, wie er darauf aufpasst, muss auch das zweite Abenteuer-
tuch für ihn eine ganz besondere Bedeutung haben …
Die Wüste ist unerbittlich. Es ist zu heiß zum Radfahren, zu heiß zum Essen, zu heiß
zum Reden … Wir quälen uns durch 47 Grad, Schatten gibt es weit und breit nicht. Ge-
gen die heiße Mittagsluft anzufahren, ist Harakiri.
Den ganzen Tag fahren wir durch karges, verlassenes Gebiet. Der Wind bläst mit ru-
higer, konstanter Kraft gegen unsere Fahrtrichtung. »Warum, womit haben wir das ver-
dient, du Arschloch, kannst du nicht auch von hinten blasen?«, frage ich ihn, worauf er
meist mit einer starken Böe oder staubigen Windhose zurückschimpft. Wir nehmen uns
vor, von jetzt an früh morgens zu fahren, bis wir ein winziges bisschen Schatten in Form
eines trockenen, blätterlosen Baumes gefunden haben, und dort bis zum Nachmittag zu
pausieren, bis die Luft ein wenig abkühlt. Auf die Art kommen wir sehr gut voran, ges-
tern haben wir mit 200 Kilometern und zwei Metern unseren bisherigen Tagesstrecken-
rekord aufgestellt. Nichts wie durch hier, lautet die Devise. Unser kostbarstes Gut in die-
ser gottverlassenen Gegend sind die 40 Liter Wasser, die wir uns in Fünfliter-Kanistern
hinter den Sattel, in die Lowrider-Taschen am Vorderrad und in die Getränkehalter ge-
schnallt haben. Zwar kreuzen wir ab und zu Schlammbäche, die den Regen aus den an-
liegenden Bergen in die Wüste tragen und am Horizont versanden, aber daraus trinkba-
res Wasser zu gewinnen ist viel Arbeit. Man muss das Wasser in einen Kanister füllen,
warten, bis sich der Schlamm gesetzt hat, vorsichtig umgießen, und diese Prozedur
mehrfach wiederholen, bis es einigermaßen klar ist.
Am nächsten Tag strampeln wir wie immer stumm und apathisch vor uns hin, als
plötzlich jemand direkt neben mir mit russischem Akzent »Hello« brüllt. Ich erwarte Han-
sen und schaue erstaunt nach links, als neben mir ein wüstenvermummter Radfahrer
auftaucht. Der Radler stellt sich als Sergeij aus Novosibirsk vor, sein Bruder Konstantin
und ein Freund ziehen gerade nach. Wir fahren eine Zeitlang in einer großen Gruppe
und tauschen Reiseerlebnisse aus. Sergeij, Konstantin und ihr Freund sind die ersten
Radfahrer seit Langem, die wir treffen, die ihre Tour ähnlich abenteuerlich durchziehen,
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