Travel Reference
In-Depth Information
lich dunkle Wolken auf. Als wir oben angekommen sind, weiß ich, warum man den Hi-
malaja das Dach der Welt nennt. Wir sind auf über 3300 Metern, und die Gipfel, die
man von unten für die höchsten gehalten hatte, werden von hier aus betrachtet von
noch höher liegenden Ebenen umschlossen, die wiederum am Fuß noch höherer Berge
liegen. Vom Pass aus schauen wir in das Tal, in das sich die Straße in waghalsigen Ser-
pentinen hinabschlängelt. Sie führt durch senkrechte Felswände. Es ist mir unerklärlich,
wie man diese Straße dort hineingraben konnte. Wir beschließen, auf dem Pass zu über-
nachten, um uns für die noch höheren Pässe hinter Kudi zu akklimatisieren. Gerade als
wir unser Zelt auf der alten unbefahrenen Passstraße aufschlagen wollen, bricht ein Ha-
gelsturm aus dem Himmel. In wenigen Sekunden, noch bevor wir sie mit den Überzü-
gen sichern können, sind unsere Gepäcktaschen durchnässt. Kurzerhand fahren wir ab,
um in dem wärmeren Tal einen trockenen Platz zu finden - eine ziemlich gefährliche
Idee, wie sich herausstellen sollte: Die Abfahrt zieht sich über 20 anstrengende Kilome-
ter und wie schon am Toktogul-Pass in Kirgisistan frieren mit schier die Finger ab.
Während der Abfahrt bremst man durchgehend, und die Hand wird so steif, dass
man den Lenker kaum noch halten kann und alles Gespür verliert. Aber noch schlimmer
sind die Felsbrocken, die sich durch den Regen aus den Felswänden lösen. Ständig kul-
lern kopfgroße Steine über die Straße oder fallen von den Überhängen und bleiben mit
einem dumpfen Schlag liegen. Mitunter riecht man sogar noch den Aufprall der Felsen
auf dem Asphalt - ein rauchiger Duft, der entsteht, wenn Steine gegeneinander gerieben
werden. Wir versuchen, uns von den Wänden fernzuhalten, aber auch das schützt uns
nicht. Völlig unvorhersehbar rollt direkt vor uns tosend eine Lawine aus Schlamm und
Geröll über die Straße. Hätte sie uns erwischt, währen wir mitsamt Rädern in den Ab-
grund gespült worden. Wo eben noch der grasige Hang war, klafft jetzt ein Loch, der
ganze Hang ist einfach abgerutscht. Mein Herz rast, ratlos und ängstlich schaue ich zu
Paul, der hinter mir auffährt. Wir sind sprachlos und gelähmt. Die zähe Masse aus Geröll
und Schlamm fließt langsam in den Abgrund ab. Als sie Minuten später zum Stillstand
kommt, nutzen wir die Gelegenheit und tragen unsere Räder schnell hindurch. Wir fah-
ren schnell weiter, je weniger Zeit wir auf dieser Straße verbringen, desto sicherer. Aber
die herabgestürzten Steine, teilweise richtige Felsen, sind manchmal schwer zu umfah-
ren. Wir sind froh, als wir die Felswände hinter uns lassen und die Serpentinen uns über
gemächlichere Hänge ins Tal bringen. Als wir unten ankommen, blicken wir zurück und
der eben noch sichtbare Pass ist in einem Mantel aus Wolken und Nebel verschwunden,
Search WWH ::




Custom Search