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können; der Arzt und die Schwestern im Krankenhaus, die schön die Hand aufgehalten
haben, nachdem ich den halb kranken Paul dort wieder herausgeschleppt habe.
Heute, auf dem Markt, musste ich ihn fast bremsen, so glücklich war er, dass das Fieber
gesunken ist und er »nur noch« Kopfschmerzen hatte. Als wir zu Jul Dai Basch zurück-
kehren, wird dort bereits fleißig gekocht. Vor dem Essen führen uns seine Söhne
»Champion« vor, einen Hahn, der hier in der Gegend jeden Kampf gewinnt. Um seine
Stärke zu demonstrieren, wird extra für uns ein Hahn vom Nachbarhaus geholt und ein
brutaler Kampf inszeniert, der erst vorbei ist, als der Nachbarshahn halb tot ist. Mir fällt
es nicht leicht, Bewunderung für »Champion« zu zeigen, solche Tierkämpfe sind mir
absolut zuwider. Aber wie sollte ich das den stolzen Hahnbesitzern jemals erklären?
Weiter geht es zum Esel »Ikshik«, der kurz angebunden auf den Feldern hinter dem
Haus ein ziemlich trübes Dasein fristet. Wir dürfen auf ihm reiten und ihn mit Mais füt-
tern, aber als die Jungs uns dazu auffordern, ihm in die Hoden zu schlagen, hat für mich
der Spaß ein Ende. Wie könnte ich einem armen struppigen Esel weh tun, nur weil's so
lustig aussieht?
Glücklicherweise können wir mit einer anderen Attraktion aufwarten - als Danke-
schön haben wir mittags das kaputte Rad der Familie repariert. Jeder will Probe fahren,
bis die 94-jährige Babuschka endlich zum Essen ruft.
Abends sitzen wir noch lange zusammen, und Jul Dai Basch erklärt uns seine Sicht auf
die Spannungen zwischen Usbeken und Kirgisen, die vor genau zwei Jahren in heftige
Kämpfe mit vielen Toten ausgeartet sind. Kirgisische Banden haben damals usbekische
Wohnviertel in Osch überfallen, Häuser angezündet, geplündert und die Bewohner er-
mordet. Er selbst ist als Usbeke nur verschont worden, weil seine kirgisischen Nachbarn
ihn und seine Familie geschützt haben, erzählt er uns. Viele seiner Freunde und Ver-
wandten hat er verloren, und immer noch trauen sich einige Usbeken kaum auf die Stra-
ße. Ich erinnere mich, dass ich damals etwas darüber im Fernsehen gesehen habe und
erschrecke, wie weit weg einem diese Bilder im fernen Deutschland erscheinen. Heute
fahre ich mit dem Rad durch dieses Land, weil es auf der Route eines mehr oder weni-
ger beliebig gesteckten Ziels liegt. Ein bisschen schäme ich mich.
Wie ich Paul in diesem Augenblick hasse! Warum muss er ausgerechnet jetzt krank wer-
den, warum kann er sich nicht auskurieren - warum, warum? Und warum muss ich im-
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