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Für mein Leben gelten diese Regeln nicht - und bin hingegangen und hab innerhalb
von zwei Wochen einen Job gefunden. Einen Superjob sogar. Zwei Jahre später habe ich
mir in den Kopf gesetzt, ein Masterstudium anzufangen - an der TU Berlin gab es einen
neuen Studiengang, Human Factors, der die Mensch-Maschine-Interaktion untersucht,
etwas, das mich total fasziniert. Man braucht dafür entweder ein abgeschlossenes Inge-
nieursstudium oder ein Psychologiestudium. Ich habe weder das eine noch das andere,
nur ein Diplom in Mediendesign. Trotzdem habe ich mich beworben und bin natürlich
abgelehnt worden. Daraufhin habe ich so lange angerufen, bis ich einen Termin mit
dem Studiengangsleiter bekam - und muss derart enthusiastisch und auch einigermaßen
fähig auf ihn gewirkt haben, dass er irgendwann meinte: »Okay, du hast mich überre-
det, überzeugt hast du mich noch nicht ganz. Aber du bist motiviert, also sollst du eine
Chance haben.« Das klingt alles so nach Selfmademan, aber das meine ich gar nicht. Ich
glaube einfach in jeder Situation ganz naiv an mein Glück und will Dinge selbst auspro-
bieren, bevor ich mir eine Meinung darüber bilde. Und deswegen hat mich dieser Vor-
fall heute umso mehr umgehauen. Ich bin erschüttert und verunsichert, und ich weiß
nicht, ob diese Glücksschicht, die mich immer umgeben hat, nun für immer zerstört ist.
»Scheiße«, sagt Hansen immer wieder, »Scheiße«. Anfangs noch heftig und schimp-
fend, inzwischen resigniert und leise.
Ich weiß, dass er da liegt und dasselbe denkt wie ich: Sollen wir überhaupt weiterfah-
ren, setzen wir nicht alles aufs Spiel, was wir haben? Ich glaube, Hansen weint leise vor
Wut. Irgendwann setzt er sich auf und guckt mich an: »Wir müssen was tun, Paul. Hier
rumzuliegen macht alles noch schlimmer, lass uns überlegen, wo wir schlafen können.«
Hansen und ich sind eineiige Zwillinge und selbst nach dreißig Jahren auf den ersten
Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Wir sind exakt gleich groß, haben dieselben
Augen, Münder, Nasen, Hände und die gleiche Stimme. Mit niemandem verstehe ich
mich so gut wie mit Hansen, mit niemandem streite ich mich heftiger. Und trotz unse-
rer Ähnlichkeit und der gleichen DNA sind wir grundverschieden. Wir haben uns zum
Beispiel nie in dieselbe Frau verliebt. Hansen hat sich immer für wilde Abenteuermäd-
chen mit zotteligen Haaren interessiert und ich, wie Hansen sagen würde, für »blonde
Spießerfrauen« - das stimmt natürlich nicht immer so, aber ein bisschen was ist dran.
Mir sind materielle Dinge wichtiger als Hansen, ich bin unflexibler, vielleicht sogar un-
freier. Hansen kann seine Gefühle zeigen, und ich verstecke sie lieber. Ein weiterer Un-
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