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Lkw schlingert bedrohlich, und das massige Gefährt bleibt nur wenige Meter von mir
entfernt stehen.
Einen Moment lang herrscht Stille, nichts passiert. Dann steigt der Fahrer aus dem
Führerhaus, ein Tier von einem Kerl. Mit eisernem Blick und einer riesigen Brechstange
in beiden Händen geht er langsam auf Sasch zu. Die drei Betrunkenen kuschen, springen
in ihr Auto und fahren rückwärts weg.
Was weiter passiert, wissen wir nicht, denn Hansen und ich nutzen die Gelegenheit
und rasen los. Ständig schauen wir, ob wir verfolgt werden, bevor wir hinter einer Kur-
ve einen Abzweig nehmen. Wir sollten uns nicht zu früh in Sicherheit wähnen, diesen
Typen ist alles zuzutrauen. »Helme runter!«, ruft Hansen mir zu und reißt sich den
neongelb leuchtenden Helm vom Kopf. Geduckt schieben wir die Räder durch das hohe
Gras, bis wir eine große Mulde in der weiten Steppe finden. Wir stellen sie ab und legen
uns flach auf den Boden.
Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf: War es ein Fehler, die Straße zu ver-
lassen? Hier sind wir ganz allein, wenn sie uns finden, sind wir ihnen hilflos ausgelie-
fert. Wer weiß, ob sie nicht doch noch hinter uns her sind. Hier kommt kein Trucker
vorbei, um uns zu retten.
Nach kurzer Zeit lässt das Adrenalin nach, und alles tut weh. Mein Gesicht glüht und
pocht, meine Magengrube schmerzt, und Hansen hat von seinem Zahnkranz einen klaf-
fenden Schnitt an der Wade. Die erste kleine Inventur ergibt, dass die Typen nur ein paar
Kamerastative, mein iPhone-Display und die Solaranlage leicht beschädigt haben. »Lässt
sich alles reparieren«, fasst Hansen zusammen. Damit hat er recht. Schwerer wiederher-
stellen lässt sich unser positives Bild von Kasachstan und seinen Bewohnern und diese
optimistische Arglosigkeit, mit der wir bisher gut gefahren sind.
Alles fällt so unendlich leicht, wenn man ein Rettungsnetz hat, das meine Mutter Urver-
trauen nennen würde. Wenn man grundsätzlich immer vom Bestmöglichen ausgeht.
Hansen ist da ein bisschen anders als ich.
Ich glaube, es gibt Menschen, die mich für vollkommen blauäugig halten und den-
ken, ich sei einer von diesen Glückstölpeln, bei denen irgendwie immer alles gut geht.
Als ich vor vier Jahren nach meinem Studium nach Berlin gezogen bin, haben mir alle
gesagt: »Mach das erst, wenn du einen Job hast, wenn du einmal arbeitslos ankommst,
dann bleibt das auch so.« Mich hat das zwar verunsichert, aber ich dachte: Bei mir nicht.
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