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scheinlich werde auch ich heute Nacht schlecht schlafen. Doch einmal abgesehen von
dem barocken Interieur, bei dem einem die Augen übergehen: Hier handelt es sich um ein
funktionierendes Benediktinerkloster mit etwa hundert Mönchen und täglich sechs Got-
tesdiensten. Am eindrucksvollsten ist die Vesper jeden Nachmittag um 16.30 Uhr, wenn
die Mönche das Salve Regina singen, und zwar ganz hervorragend. Man bekäme eine
Gänsehaut, fiele einem dabei nicht unweigerlich ein, wie Whoopi Goldberg und ihre
Nonnen im Film Sister Act zu diesen Zeilen swingen. Hier steht allerdings eine andere
schwarze Frau im Mittelpunkt und zieht das ganze Jahr über scharenweise Pilger an: eine
Madonna mit Jesuskind im Arm, beide in prächtigen Gewändern, die Gesichter ge-
schwärzt von jahrzehntelangem Kerzen- und Lampenqualm.
Trotz dieses überbordenden Katholizismus ist Einsiedeln nur eine Stunde von Zürich,
der Wiege des Schweizer Protestantismus, entfernt. Zwei Städte, zwei Glaubensrichtun-
gen, zwei grundverschiedene Welten. Nur 40 Kilometer trennen zwei der bedeutendsten
religiösen Wahrzeichen der Schweiz, das Grossmünster in Zürich und das Kloster Einsie-
deln, doch die Kluft dazwischen ist tief. Die beiden Bauten veranschaulichen, wie stark
sich Protestanten und Katholiken auch heute noch unterscheiden, zumindest in Stilfragen
- als stünden sich die förmlich-korrekte Elisabeth II . und Prinzessin Diana gegenüber,
hier ein nur angedeuteter Hauch geschmackvoller Ausstattung versus vielfarbigem Über-
schwang dort, der ein ehrfürchtiges Publikum anlockt. Typisch Schweiz ist ihre friedliche
Koexistenz. Aber die Kirche in der Schweiz ist nun einmal ein außergewöhnliches Gebil-
de.
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