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men man nicht kennt. Auch wenn Sie den Rest des Abends nicht mehr mit
Stefan oder Frau Weber sprechen sollten, wenigstens haben Sie sich korrekt
verhalten und sich vorgestellt. Dieser Brauch ist wohl der wahre Grund,
warum Schweizer meist so pünktlich sind. Es ist ja viel einfacher herumzuste-
hen, zu trinken und zu plaudern, sodass die Neuankömmlinge auf einen zu-
kommen müssen. Man fühlt sich dann vielleicht ein bisschen wie das Hoch-
zeitspaar, das die Glückwünsche der Gäste entgegennimmt, aber lieber das,
als unter den Nachzüglern zu sein. Denn die müssen lange warten und viele
Hände schütteln, ehe sie sich entspannen dürfen und etwas zu trinken bekom-
men.
Das mag bei einem Volk, das für seine Zurückhaltung berühmt ist, ja ziemlich
merkwürdig wirken, für die Schweizer ist es aber normal. Und wenn Sie mei-
nen, dass die Gäste über Gebühr unter Druck gesetzt werden, sollten Sie be-
denken, dass die Gastgeber all die vielen Appetithäppchen bereitstellen muss-
ten, die sich leicht und schnell verzehren lassen - schließlich brauchen die
Gäste eine Hand für das Glas und die andere zum Händeschütteln. Wenn bei-
de Hände beschäftigt sind, kann man nicht Hände schütteln, und dann würde
die Schweizer Gesellschaft zusammenbrechen. Also tragen die Gastgeber
auch einen Teil der Bürde. Dagegen sind Mehrfachbegrüßungen doch ein klei-
ner Preis.
Neunzehn Hände schütteln, 19 Begrüßungsloskeln und 19-mal den Namen
nennen - das hört sich anstrengend an, aber um die Sache zu beschleunigen,
hat dieser Wahnsinn Methode. So wie es verschiedene Begrüßungsworte gibt
- in der Schweiz ist Grüezi die Norm -, so gibt es unterschiedliche Begrü-
ßungsebenen. Die unterste indet bei völlig Fremden Anwendung: Hände
schütteln, Vorstellung, Lächeln möglich, aber nicht nötig, Weitergehen. Bei
Leuten, die Sie schon mal gesehen haben, dürfen Sie ruhig kurz stehen blei-
ben und ein paar nette Worte wechseln. Aber Sie wissen beide, dass es un-
schicklich wäre, länger zu plaudern, solange Sie noch nicht alle anderen be-
grüßt haben. Bei Freunden ersetzen drei Wangenküsschen (rechts-links-
rechts) und ein „Wie geht's dir?“ das Händeschütteln, wobei klar ist, dass Sie
sich nach Abschluss der Begrüßungszeremonie immer noch richtig unterhal-
ten können. Den Schweizern ist das Ritual in Fleisch und Blut übergegangen,
denn sie machen es so, seit sie sprechen und laufen gelernt haben, aber für
unwissende Fremde ist es gewöhnungsbedürftig.
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