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Und als wäre das alles nicht schon schwer genug, musste ich mich als eng-
lischsprachiger Ausländer auch noch mit den Anreden du und Sie herumschla-
gen. Eigentlich sind es ja drei, aber die dritte ignorieren wir erst mal. Wenn
sich jemand als Herr oder Frau Soundso vorstellt, dann heißt es Sie; Vornamen
bedeuten: Man darf sich duzen. Du statt Sie zu sagen, ist ein unverzeihlicher
Afront, für Deutschlernende trift es sich aber gut, dass die Verbform beim Sie
unkompliziert ist, es fällt also leicht, superhölich zu bleiben. Irgendwann be-
kommt man dann das Du angeboten (oder möchte es selbst anbieten), ein
klares Zeichen, dass es mit der Freundschaft vorangeht. Danach darf man die
Person nie wieder siezen, denn das würde ein abruptes Abkühlen der Freund-
schaft signalisieren.
Wer diese Regeln vergisst, handelt sich unverhältnismäßigen Ärger ein. Ein-
mal bot ich in der Tram einer alten Dame meinen Sitzplatz an, vermasselte
aber meine gute Tat durch unabsichtliche Verwendung des Du. Da blieb sie
nicht nur stehen, sondern las mir zudem die Leviten, weil ich so frech und un-
höflich war. Andererseits habe ich bestimmt schon unzählige Menschen ge-
siezt und somit gekränkt, nachdem wir uns schon auf das Du geeinigt hatten.
Bei mehreren Freunden kommt die dritte Form, das Ihr ins Spiel, was die Sa-
che für Engländer noch komplizierter macht. Da ist es doch einfacher, beim
förmlichen Sie zu bleiben.
Die Schweizer Kunst des Small Talk ist nicht schwer, weil das Themenspek-
trum wirklich sehr überschaubar ist. Viele Schweizer ziehen es vor zu schwei-
gen, statt über Verkehr oder Ferien oder Stars zu schwatzen. Und sie vermei-
den es garantiert, nach allzu persönlichen Dingen wie Familienstand, religi-
ösen Ansichten oder dem Preis Ihres Hauses zu fragen, und möchten natürlich
auch selbst nicht danach gefragt werden. Privat- und Berufsleben werden
streng getrennt, und wer beides unbekümmert vermischt, erntet Argwohn.
Höflich ja, freundlich stets, aber die Lebensgeschichte in den ersten Stunden
(oder selbst Monaten) des Kennenlernens preiszugeben - niemals. Sollten Sie
erwägen, mit einem Witz das Eis zu brechen, tun Sie's nicht. Witze werden im
Familien- oder Freundeskreis erzählt, aber nicht unter Fremden oder Ge-
schäftspartnern. Den Schweizer Humor gibt es, ganz ehrlich, aber wie Sex und
Geld ist er ein Thema fürs traute Heim.
Wer all diese Klippen umschift hat, muss nur noch angemessen Abschied
nehmen. Am Ende der Party vollzieht sich dasselbe Ritual wie am Anfang, nur
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