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hen sich die Müllers als patriotisch und sind stolz darauf, Schweizer zu sein. Was für Eid-
genossen wiederum absolut typisch ist.
Die nationale Identität zu definieren ist in keinem Land leicht, aber in der Schweiz
gleicht diese Aufgabe der Besteigung der Eiger-Nordwand. Vieles, was eine Nation nor-
malerweise zusammenschweißt, fehlt dem Land: eine gemeinsame Sprache, eine Staatsre-
ligion, eine Monarchie, eine übergeordnete Ideologie, revolutionäre Ideale. Dennoch kann
man der Schweiz nicht absprechen, eine Nation zu sein, eben nur nicht im herkömmli-
chen Sinn. Sie ist das vielleicht beste Beispiel für nationale Selbstbestimmung: Die
Schweizer sind eine Nation, weil sie es so wollen; sie sprechen sogar selbst von einer
»Willensnation«. Trotz ihrer unterschiedlichen Sprachen sind Lugano, Lausanne und Lu-
zern allesamt Schweizer Städte, einfach deshalb, weil ihre Einwohner das so sehen. In ge-
wisser Hinsicht wird die Schweiz dadurch so fiktional wie Heidi; das Land existiert des-
halb, weil seine Bewohner daran glauben. Ähnlich wie das Paradies, nur dass die
Schweiz gebirgiger ist und der öffentliche Personenverkehr besser funktioniert.
Doch eine untypische Nation zu sein heißt nicht, dass man keine Identität hätte, es ist
nur schwieriger, sie zu definieren. Und da kommt Heidi ins Spiel. Viel zu sorglos und un-
kompliziert, um eine echte Schweizerin zu sein, ist die Romanfigur tatsächlich die perfek-
te Verkörperung der Schweizer Nation: liebevoll und großzügig ihrer Familie und engen
Freunden gegenüber, aber auf der Hut vor dem Fremden und den damit verbundenen
Komplikationen; bei aller Unschuld mit einem entschlossenen Herz am rechten Fleck und
ihrer Heimat über alle Maßen zugetan. Und was am meisten zählt: Das Heidi ist - genau
wie ihr Land - eine Illusion, an die die Schweizer noch immer glauben.
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