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ßelt, dass es wie eine Totenmaske wirkt. Ein Schauder überläuft mich. Selbst als Toter
macht Henri Dunant großen Eindruck.
Neben dem Friedhofseingang ist auf einem großen weißen Schild detailliert aufge-
führt, was alles nicht gestattet ist - Joggen, Badekleidung, Radfahren, Hunde, Abfall,
Lärm. Mit den meisten Verboten bin ich sofort einverstanden, schließlich ist es ein Fried-
hof, aber woher rührt die Furcht vor Badebekleidung? Wir sind hier ja nicht in Barcelona
oder Brighton. Da Zürich bestimmt 500 Kilometer vom nächsten Strand entfernt liegt, ist
es höchst unwahrscheinlich, dass hier Leute in Bikini oder Badehose herumspazieren,
schon gar nicht auf einem Friedhof. Doch die Schweizer stellen nun einmal gern so viele
Regeln wie möglich auf und wollen wohl auch fern vom Meer für alle Eventualitäten ge-
wappnet sein. Und schließlich kann man im Zürichsee schwimmen, auch wenn er ein gu-
tes Stück vom Friedhof entfernt ist.
Am anderen Ende der Stadt steht das Haus, in dem Johanna gelebt hat. Eine Steinpla-
kette an der Hauswand von Zeltweg 9 sagt mir, dass ich richtig bin - hier hat Johanna
Spyri von 1886 bis zu ihrem Tod gelebt. Die Klingelschilder zeigen, dass das Gebäude
noch heute vorwiegend als Wohnhaus genutzt wird. Doch da erregt ein Schild an Haus
Nummer 11 meine Aufmerksamkeit - die Johanna-Spyri-Stiftung. Der richtige Name,
aber die falsche Adresse, jedoch nur ein Haus weiter, was für einen Unterschied kann das
schon machen? Ich steige die Steintreppe hoch und fühle mich um ein Jahrhundert zu-
rückversetzt. Ein wunderschön geschwungenes schmiedeeisernes Geländer führt mich zu
einer Tür mit Buntglasscheiben, die so farbig wie fein gearbeitet sind. Drinnen dann
prächtige Stuckdecken, Parkettböden, Verzierungen an den Türen - und mitten in all der
historischen Detailtreue ein geschäftiges modernes Büro.
Julia am Empfang erzählt mir, dass die Escherhäuser, wie die Gebäude am Zeltweg
heißen, in den 1850er-Jahren eigens als Mietwohnungen für Gutbetuchte gebaut worden
sind. Nach dem Tod ihres Sohnes und ihres Mannes ist Johanna Spyri hier eingezogen.
Aber offenbar verbrachte sie hier nur wenig Zeit und nutzte das Haus hauptsächlich als
Zweitwohnsitz, wenn sie selten genug einmal in die Stadt kam. Ihr Name lebt in dem
Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien fort (so der offizielle Name), das
sich der Leseförderung sowie der Forschung und Dokumentation im Bereich der Kinder-
und Jugendliteratur widmet. Wie passend.
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