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der Schweiz ist auch dies ein wohlüberlegter Vorgang, der auf uralten Traditio-
nen beruht.
Der Gastgeber macht den Anfang, indem er das Glas erhebt. Anschließend
muss jeder mit jedem anstoßen und das Glas dabei möglichst unten am Stiel
halten, damit es wohltönend klingt. Doch nicht nur das: Man muss seinem Ge-
genüber dabei auch in die Augen schauen und nach dem „zum Wohl“ seinen
oder ihren Vornamen anhängen.
Bei einem Abendessen mit acht Personen heißt das, dass zuerst 28 Mal die
Gläser erklingen und ein „zum Wohl“ mit den verschiedenen Namen zu hören
ist, bevor der erste Tropfen getrunken wird. Schlimmstenfalls küssen sich
manche Paare auch noch kurz, nachdem sie sich „zum Wohl“ gewünscht ha-
ben, was die Sache weiter in die Länge zieht. Diese ganze Prozedur ist ein
Ausbund an Hölichkeit, kann aber endlos wirken, wenn man nach Wasser
lechzt und die letzten Worte kaum mehr herausbringt, weil einem die Zunge
am Gaumen klebt. Trotzdem sollte keiner einen einzigen Schluck trinken, ehe
nicht jeder mit jedem angestoßen hat. Wehe dem, der rasch am Glas nippt,
ehe das ganze Brimborium vorbei ist! Dieser Fehler wird mir kein zweites Mal
unterlaufen.
Dann wird das Essen aufgetragen. Nun darf kein Bissen Ihre Lippen berühren,
ja Sie dürfen noch nicht einmal die Gabel heben, bevor nicht jeder, dem Gast-
geber folgend, jedem „en guete“ (oder „bon appétit“ beziehungsweise „buon
appetito“) gewünscht hat. Wenigstens das darf man in die Runde hineinrufen
und muss nicht jeden dabei mit Namen ansprechen - es dauert also nicht lan-
ge, bis Sie zulangen dürfen. Die Schweizer inden es unglaublich, dass so et-
was nicht überall üblich ist. Zumindest in deutschen Bürogängen erschallt mit-
tags ja auch ein „Mahlzeit“, wann immer sich nach
11.30 Uhr Menschen begegnen. In der Schweiz hört man selbstverständlich
„en guete“, wenn der Kollege mittags das Büro verlässt, wenn sich die Familie
an den Tisch setzt oder wenn neben jemandem ein Unbekannter auf der Park-
bank sein belegtes Brot auspackt. Auch der Kellner sagt es, wenn er das Essen
bringt, zumindest sollte er es tun. Doch leider ist der Service in der Schweiz
nicht ansatzweise so gut wie das Essen. Vielleicht ist deshalb Trinkgeld nicht
üblich, oder aber der Service ist so schlecht, weil die Bedienungen wissen,
dass sie höchstwahrscheinlich kein Trinkgeld bekommen werden. Was auch
immer der Grund sein mag, guter Service ist jedenfalls eine Seltenheit.
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