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werden müssen. Allerdings waren die Schweizer nie ein Volk, das sich von ein paar Ber-
gen hätte aufhalten lassen.
Wenn es ein Datum gibt, das die Entschlossenheit der Schweizer demonstriert, ihre
Landschaft zu erobern, ist das der 25. Juni 1930. Das Ereignis dieses Tages ist in der Ge-
schichte des Schweizer Transportwesens noch nicht einmal so herausragend. Weder han-
delte es sich um die Eröffnung des Gotthardtunnels noch um die Fertigstellung der ersten
Bergbahn Europas; nein, es war die Jungfernfahrt des Glacier Express von Zermatt nach
St. Moritz. Die Idee, zwei Nobelskigebiete zu verbinden, mag banal erscheinen, bis man
einen Blick auf die Karte wirft: Die beiden Orte befinden sich an entgegengesetzten En-
den des Landes, dazwischen erheben sich eine ganze Menge Berge. Fast wirkt es, als hätte
jemand beschlossen, die beiden Punkte auf der Landkarte miteinander zu verbinden, egal
was dazwischenliegt. Zweimal ist ein Höhenunterschied von 1400 Metern zu überwin-
den; die Strecke hat also etwas von einer groß angelegten Achterbahn, allerdings nicht
was die Geschwindigkeit betrifft. Es handelt sich um den wohl langsamsten Express der
Welt - glazial ist dafür das passende Adjektiv, auch die Gletscher haben sich nicht von
heute auf morgen verschoben -, aber das gemächliche Tempo und die Panoramawaggons
mit Glasdach sind ideal, um sich in Ruhe die Alpen anzusehen.
Das Besondere am Glacier Express sind weder die 291 Brücken noch die 91 Tunnel, ja
nicht einmal die Tatsache, dass er trotz Schnee auch im Winter verkehrt. Das Erstaunli-
che ist vielmehr, dass an der Strecke keine größeren Orte liegen, die den Bau einer sol-
chen Schienenverbindung rechtfertigen würden. Die beiden größten Städte, Brig und
Chur, sind durch Hauptstrecken an das Schienennetz angebunden, das heißt, der Express
bedient im Wesentlichen nur ein paar Dörfer - und die Touristen, die sich das Erlebnis
gönnen. Und ebendas ist der springende Punkt. Denn zwar verkehren auch reguläre Zü-
ge, die in jedem Dorf halten, auf den Gleisen, aber der Touristenexpress macht die Linie
rentabel. In der Hochsaison muss man eine ganze Weile im Voraus einen Sitzplatz reser-
vieren, und Stehen ist nicht erlaubt (nicht, dass man siebeneinhalb Stunden lang stehen
möchte).
Vom Fuß des Matterhorns bei Zermatt tuckert die Bahn das flache Rhônetal, geradezu
eine Rennstrecke, bis nach Brig hinunter. Dann geht's bergauf über den Oberalppass -
das heißt imposante schroffe Gipfel, umgeben von üppigen grünen Almen, oder im Win-
ter ein weißes Wunderland -, bevor die Bahn in die Vorderrheinschlucht hinabfährt. Er-
staunlich, dass zwei der größten Flüsse Europas ihre Quellen so nah beieinander haben:
der Rhein, der in die Nordsee mündet; und die Rhône, die erst nach Westen, dann nach
Süden in Richtung Mittelmeer fließt. Nicht zu vergessen der Inn, der jenseits eines weite-
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