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Unter allen Ausstellungsstücken nimmt ein Dokument einen Ehrenplatz ein. Es sieht
aus wie ein Schulzeugnis, auf dem Dunants Name und das Jahr 01 mit Tinte vermerkt
sind. Dieses Stück Papier beweist, dass die Welt endlich doch noch Dunants gedachte und
seine Leistung würdigte. Am 10. Dezember 1901 erhielt er den erstmalig vergebenen Frie-
densnobelpreis. Zwar musste er ihn mit Frédéric Passy, dem Gründer der Internationalen
Friedensliga, teilen, aber es liegt auf der Hand, wer von beiden - und welche Organisati-
on - weltweit größeren Einfluss entfaltet hat. Das Preisgeld rührte Dunant nicht an, es
blieb bis zu seinem Tod neun Jahre später auf einem norwegischen Konto. In seinem Te-
stament stiftete er ein Freibett im Heidener Spital für jene, die sich eine Behandlung nicht
leisten konnten - ein wahrer Humanist bis ins Grab.
Dunant erlebte einen Abstieg vom Millionär zum Tellerwäscher, nicht nur finanziell,
sondern auch im Hinblick auf Ruhm und Familie. Es gibt wohl wenige Menschen in der
Weltgeschichte, die mit Königen dinierten und Pariser Mülltonnen nach Essen durch-
wühlten, die eine internationale Organisation mit einem Millionenbudget gründeten,
aber als Geschäftsleute bankrott gingen, die Tausenden das Leben retteten und einsam in
einem Spitalbett verstarben. Sein bleibendes Vermächtnis ist das Rote Kreuz, das weltweit
14 000 Mitarbeiter beschäftigt und steuerfreie Jahreseinnahmen von über einer Milliarde
Schweizer Franken erzielt, was in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Burundi ent-
spricht. Ich hoffe, er lächelt in seinem Grab.
Als vielleicht klarstes Beispiel für Neutralität und Humanität hat das Rote Kreuz insge-
samt das Image der Schweiz im Ausland gestärkt. Der große Unterschied ist, dass sich
das Rote Kreuz mit den Nachwirkungen des letzten Krieges beschäftigt, während die
Schweiz sich auf den nächsten vorbereitet; zwei Seiten derselben Medaille, so wie ihre
Fahnen die Farben vertauscht haben. Denn bei Neutralität nach Schweizer Verständnis
geht es nicht nur um Unparteilichkeit, es geht darum, vorbereitet zu sein. Sehr gut vorbe-
reitet.
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