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Frieden mitten im Krieg
Die größte Herausforderung - und die größte Niederlage - brachte der Zweite Weltkrieg.
Keins der drei Genfer Abkommen (das vierte folgte 1949) bot Antworten auf Massenver-
haftungen und den Mord an Zivilisten, und das Rote Kreuz versäumte es, seine Richtlinien
und seine Arbeitsweise an die Realität der Konzentrationslager anzupassen. Ein weiteres
Problem war die Beziehung zwischen dem Roten Kreuz und der Schweiz, die beide offizi-
ell neutral waren. Beim IKRK befürchtete man, jede Intervention in Deutschland würde
als Parteinahme gedeutet, das Gastland an den Pranger stellen und damit die Arbeit der
Organisation, so begrenzt sie sein mochte, gefährden. Dass ein Mitglied der Schweizer Re-
gierung im Komitee saß, könnte dabei vielleicht auch eine Rolle gespielt haben. Zwar hal-
fen das Rote Kreuz als Organisation und viele einzelne Mitglieder, wo sie konnten, aber es
gab keine öffentliche Verurteilung der Todeslager, obwohl sich später herausstellte, dass
man beim IKRK genau wusste, was los war.
Die Schweiz verhielt sich selbst auch nicht viel besser. Neutralität kann schon in guten
Zeiten schwierig sein, und damals erlebte das Land - eine Insel im Meer der Achsenmäch-
te und von Invasion bedroht - zweifellos seine schlimmste Zeit. Aber die Invasion blieb
aus, und die Legende von der Festung Schweiz mit ihren Gebirgsbunkern und der stets
einsatzbereiten Armee aus Scharfschützen war geboren. Die Schweizer sahen (und viele
sehen es heute noch so) den Krieg als ihre Sternstunde, in der sie dem mächtigen Deutsch-
land die Stirn boten. Mag sein, dass Hitler die Heckenschützen in ihren Bergbunkern ab-
schreckend fand, wahrscheinlicher ist aber, dass er durch größere Vorhaben abgelenkt war
- wie die Invasion in Russland und damit, dem schwächelnden Italien unter die Arme zu
greifen. Auch schadete es aus seiner Sicht nicht, wenn die Schweiz neutral blieb. So konnte
er die Alpenwege der Eidgenossen für nicht militärische Transporte nutzen, von ihrer In-
genieurskunst profitieren und Gold auf ihren Banken deponieren. Die Schweiz hatte kaum
eine andere Wahl, als dieses Spiel mitzuspielen - ziemlich schwierig, es beiden Seiten
recht zu machen, wenn der eine Konfliktgegner 1000 Kilometer entfernt ist, während der
andere den eigenen Zugang zur Außenwelt und zu den nötigen Importgütern kontrol-
liert -, aber die Eidgenossen sind den Deutschen vielleicht mehr entgegengekommen als
unbedingt nötig.
Ein neutrales Land muss oft zwischen Teufel und Beelzebub wählen; das Binnenland
Schweiz entschied sich für den Pakt mit dem Teufel. Im Krieg war das kein so großes Pro-
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