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blem; die Schwierigkeiten kamen später, als die Alliierten die Schweizer bestenfalls als
Duckmäuser und schlimmstenfalls als Kollaborateure des Erzfeinds ansahen. Aber als sie
jüdische Flüchtlinge abwies, hat sich die Schweiz nicht anders verhalten als Großbritan-
nien oder Amerika; sie war nur näher dran an dem Problem. Wenn sie das IKRK zum
Schweigen veranlasste, ging es darum, Deutschland keinen fadenscheinigen Vorwand für
eine Invasion zu liefern. Und wenn sie sich auf Geschäfte mit »dem Feind« einließ (wo-
mit natürlich beide Seiten gemeint sind), tat sie das, um zu überleben. Alles, was die
Schweiz tat und unterließ, lässt sich so oder so deuten; es hängt davon ab, was man se-
hen will. Der Westen hat über das Handeln der Schweiz im Krieg den Stab gebrochen
und rückblickend und aus der Sicht der Sieger sein Urteil auch nie revidiert, aber gerecht-
fertigt ist das wohl nur in einem Bereich. Wie sich Ende des letzten Jahrhunderts gezeigt
hat, sollte der Begriff »Nazigold« die Schweiz und ihre Banken noch lange nach Kriegs-
ende verfolgen.
Die Wege des Roten Kreuzes und der Schweiz trennten sich schließlich, und die Hilfs-
organisation wurde zur »internationalen Rechtspersönlichkeit«. Somit steht das Rote
Kreuz auf derselben Rechtsgrundlage wie die Vereinten Nationen. Das IKRK hat seinen
Sitz nach wie vor in der Schweiz, aber sein Gelände ist, wie bei einer Botschaft, nicht län-
ger eidgenössisches Hoheitsgebiet, sondern internationales Territorium. Und anders als
die Schweiz, die durch Druck von außen gezwungen wurde, sich ihrer Kriegsgeschichte
zu stellen, ja, vielleicht gerade deswegen, gab das Rote Kreuz seine Fehler im Umgang
mit dem Genozid von sich aus zu: »Das ICRC bedauert heute seine früheren Fehler und
Unterlassungen. Dieses Versagen bleibt unauslöschlich im Gedächtnis der Organisation
eingegraben.« Gut gesagt.
Heute ist das Rote Kreuz in aller Welt aktiv, doch seinem Gründer blieb der Erfolg ver-
sagt. Auf den kometenhaften Aufstieg des Henri Dunant folgte ein tiefer Sturz, und zwar
so schnell und so endgültig, dass in seiner Heimat heute kaum noch jemand über ihn Be-
scheid weiß. Die Schweizer neigen insgesamt eher zur Bescheidenheit; Egoismus missfällt
ihnen, und Eigenwerbung ermutigen sie erst gar nicht. Aber selbst nach ihren Maßstäben
hätte Dunant sehr viel mehr Anerkennung verdient. Was wurde also aus ihm, nachdem
die gute Tat vollbracht war?
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