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Geldeslust, Steuerfrust
Der Vertrauensvorschuss, auf dem die Schweizer Gesellschaft gründet, ist ironischerweise
Quelle heftiger Konflikte mit dem Rest der Welt, und das bloß wegen der Steuern. In der
Schweiz funktioniert das Steuersystem nach dem gleichen Prinzip wie die unbeaufsichtig-
ten Hofläden überall auf dem Land, wo die Kunden den korrekten Preis für die Erzeugnis-
se bezahlen, die sie mitnehmen. Das Grundprinzip lautet Ehrlichkeit. In der Schweiz gibt
es keinen Quellenabzug, die Lohnsteuer wird also nicht gleich einbehalten (außer bei Ein-
wanderern, die noch keine fünf Jahren hier leben), denn damit würde sich die Regierung
in die Privatsphäre der Bürger drängen. Außerdem wäre er schwer durchführbar, weil nur
ein geringer Teil der (niedrigen) Steuern an den Bund gehen. Wie viel Einkommenssteuer
man zahlt, hängt nicht nur von der Höhe des Gehalts ab, sondern auch vom Wohnort,
denn jede Gemeinde legt ihren Steuersatz selbst fest. Wer umzieht, und sei es im selben
Kanton, zahlt oft einen anderen Satz, auch wenn der Verdienst gleich bleibt. Schön, wenn
man in einem Ort mit niedrigen Steuern wohnt, weniger schön für die Städte mit vielen
Pendlern. All die Leute, die täglich mit Tram und Auto unterwegs sind, zahlen ihre Steu-
ern an ihrem Wohnort und nicht dort, wo sie arbeiten.
Da die Steuern nicht einfach einbehalten werden, müssen alle, auch Geringverdiener,
eine Steuererklärung ausfüllen, denn Steuern sind ab dem ersten verdienten Rappen zu be-
zahlen. Sie werden auch auf Vermögen erhoben; für arbeitslose Immobilienbesitzer wer-
den also dennoch Abgaben fällig. Der Vorteil ist, dass es legale Maßnahmen aller Art gibt,
die Steuerbelastung zu mindern. Wer eine Hypothek abbezahlt, sein Haus streicht, mit
dem Zug zur Arbeit fährt, für wohltätige Zwecke spendet oder hohe Arztrechnungen hat,
kann einiges von der Steuer absetzen. Das i-Tüpfelchen ist das Mittagessen. Jeder Arbeit-
nehmer kann 15 Franken pro Tag veranschlagen, wenn er außer Haus speisen muss, erhält
also einen Essenszuschuss vom Finanzamt.
Das Schweizer Steuer- und Banksystems funktioniert nur, weil die Regierung darauf
vertraut, dass die Steuerzahler ehrlich sind. Solange man nicht lügt (das wäre Betrug),
kann man schon mal mit der Wahrheit knapsen und ein Bankkonto vergessen (das ist nur
Steuerhinterziehung, in der Schweiz eine lediglich mit Buße bedrohte Übertretung). Eine
feine Unterscheidung, die in den meisten anderen Ländern nicht gilt. Auch Bankgeheimnis
und Steuererklärungen dienen den Schweizern zum Schutz der Privatsphäre. Auf die Fra-
ge, warum jemand sein Geld vor dem Staat verstecken sollte, wenn nicht um Steuern zu
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