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Natürlich weiß nicht jeder treue Gattenliebe zu schätzen. Manche ver-
stehen sie als Ängstlichkeit, andere als Besitzanspruch. Und für die al-
ten Griechen war Orpheus bei Weitem nicht der Mustergatte, zu dem
wir ihn gemacht haben. Sie meinten, wenn ihm seine Frau so gefehlt
habe, dann hätte er nicht lange zögern und ihr auf dem schnellen,
althergebrachten Wege des Selbstmords in die Unterwelt nachfolgen
sollen. Plato verachtete ihn als waschlappigen Spielmann, der zu feige
war, für seine Liebe zu sterben: Die Götter ließen ihn zu Recht von den
Mänaden in Stücke reißen.
Man muss wissen, wo man sich beindet und wie es unten am Boden
aussieht; doch die Landesvermessung von einem Ballon aus hat sich
nie als möglich erwiesen. Dafür nehmen einem andere hilfsbereit - und
hofnungsvoll - die Positionsbestimmung ab. »Ach«, sagen sie, »du sieh-
st ja schon besser aus.« Oder gar: »Viel besser.« Die Sprache der
Krankheit, unvermeidlich; und die Diagnose ist einfach - immer dies-
elbe. Aber die Prognose? Man ist nicht in irgendeinem normalen Sinne
krank. Bestenfalls hat man so einen Erschöpfungszustand, der viele
Formen annimmt und von dem manche Leute behaupten, es gebe ihn
gar nicht. »Schüttle dein Leid ab«, geben uns diese Zweiler zu ver-
stehen, »und dann können wir alle wieder so tun, als gäbe es den Tod
nicht oder er wäre zumindest beruhigend weit weg.« Eine befreun-
dete Journalistin wurde einst von ihrem Ressortleiter weinend an ihr-
em Schreibtisch angetrofen. Sie erklärte, was bereits bekannt war - ihr
Vater war sechs Wochen zuvor gestorben. Der Ressortleiter erwiderte:
»Ich dachte, darüber wären Sie inzwischen hinweg.«
Wann kann man erwarten, »darüber hinweg« zu sein? Die Leidtra-
genden selbst können das kaum beantworten, da die Zeit jetzt viel weni-
ger messbar ist als früher. Vier Jahre danach sagen manche zu mir:
»Du siehst glücklicher aus« - ein weiterer Fortschritt gegenüber »bess-
er«. Einige sind kühn genug, dann noch zu fragen: »Hast du eine neue
Freundin?« Als wäre das ofenkundig und zwangsläuig die Lösung.
Für einige Außenstehende ist sie das, für andere nicht. Manche wollen
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