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Trauerarbeit. Dieses Wort mit dem zuversichtlichen zweiteiligen Na-
men klingt wie ein klares und solides Konzept. Dabei ist es lüssig,
glitschig und metaphorisch. Manchmal ist diese Arbeit passiv, ein
Warten darauf, dass die Zeit und der Schmerz vergehen; manchmal akt-
iv, eine bewusste Hinwendung zu Tod und Verlust und dem geliebten
Menschen; manchmal notwendigerweise ablenkend (ein langweiliges
Fußballspiel, eine überwältigende Oper). Und man hat so eine Arbeit
noch nie gemacht. Sie ist unbezahlt und doch nicht freiwillig; sie ist
hart, doch es gibt keinen Aufseher; sie ist anspruchsvoll, doch es gibt
keine Lehre. Und es ist schwer zu erkennen, ob man darin Fortschritte
macht oder was einem dazu verhelfen würde. Erkennungsmelodie der
Jugend (gesungen von den Supremes): » You Can't Hurry Love « - die
Liebe lässt sich nicht hetzen. Erkennungsmelodie des Alters (für be-
liebiges Instrument arrangiert): » You Can't Hurry Grief « - das Leid
lässt sich nicht hetzen.
Zumal es bei seinen ständigen Wiederholungen danach sucht, auf im-
mer neue Art zuzuschlagen. Wir hatten jahrelang einen kongolesischen
Briefträger, Jean-Pierre, mit dem ich oft plauderte. Ein, zwei Jahre vor
ihrem Tod wurde er auf eine andere Route versetzt. Im dritten Trauer-
jahr traf ich ihn dann wieder. Wir tauschten ein paar Hölichkeiten aus,
und dann fragte er: » Et comment va Madame ?« » Madame est morte «,
hörte ich mich sagen, und während ich das erläuterte und auf seine Er-
schütterung einging, dachte ich zugleich: Jetzt muss ich das alles noch
einmal machen, und auf Französisch . Ein völlig neuer Schmerz. Und
diese Seitenhiebe dauern an. Gegen Ende des vierten Jahres kam ich
spätabends in einem Taxi nach Hause, irgendwann nach elf. Bei solchen
Gelegenheiten fehlt sie mir immer sehr - kein trautes Nachgespräch,
kein verschlafen schweigendes Gegenüber, keine Hand in meiner. Als
wir uns meinem Haus näherten, wurde der Taxifahrer gesprächig. Alles
war nett und trivial, bis zu der fröhlichen Erkundigung: »Ihre Frau, die
schläft, ja?« Nach einem stummen Würgen gab ich die einzige Antwort,
die mir einiel: »Das hofe ich.«
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