Travel Reference
In-Depth Information
einen netterweise »lösen«; andere bleiben dem Paar verhaftet, das es
nicht mehr gibt, und für die wäre »eine neue Freundin« beinahe unge-
hörig. »Das wäre so, als ob der eigene Vater wieder heiratet«, sagte ein
jüngerer Freund zu mir. Im Gegensatz dazu erklärte eine langjährige
amerikanische Freundin meiner Frau mir nur Wochen nach deren Tod,
statistisch gesehen heirateten Menschen, die in ihrer Ehe glücklich
waren, viel früher wieder als unglücklich verheiratete, oft schon nach
weniger als einem halben Jahr. Das war ermutigend gemeint, aber
diese Tatsache, wenn es denn eine war (vielleicht gilt das nur in den
USA, wo emotionaler Optimismus eine verfassungsmäßige Pflicht ist),
schockierte mich. Sie erschien mir ganz und gar logisch und gleichzeit-
ig ganz und gar unlogisch.
Dieselbe Freundin sagte vier Jahre später: »Es widerstrebt mir, dass
sie jetzt der Vergangenheit angehört.« Auch wenn das für mich noch
nicht stimmt, hat sich das grammatische Tempus, wie alles andere
auch, bereits verschoben: Sie existiert nicht wirklich in der Gegenwart,
nicht gänzlich in der Vergangenheit, sondern in einer grammatischen
Zwischenzeit, dem Vergangenheits-Präsens. Vielleicht genieße ich es
deshalb so, auch die kleinste Neuigkeit über sie zu erfahren: eine bis-
lang nicht mitgeteilte Erinnerung, einen Ratschlag, den sie vor Jahren
gab, eine Rückblende auf sie in normaler Animation. Ich freue mich
mit, wenn sie anderen im Traum erscheint - freue mich darüber, was
sie tut und was sie anhat, was sie isst, wie sehr sie dem Menschen
gleicht, der sie früher war; ich bin auch gespannt, ob ich dann bei ihr
bin. Diese lüchtigen Momente begeistern mich, weil sie damit für kurze
Zeit wieder in der Gegenwart verankert, aus dem Vergangenheits-Prä-
sens gerettet wird und das unvermeidliche Entgleiten in das historische
Präteritum etwas weiter hinausgeschoben ist.
Dr. Johnson hat das »peinigende und zermürbende Verlangen« des
Leids sehr gut verstanden; und er hat davor gewarnt, sich abzukapseln
und zurückzuziehen. »Der Versuch, das Leben in einem Zustand der
Neutralität und Gleichgültigkeit zu halten, ist unvernünftig und eitel.
Search WWH ::




Custom Search