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Halt in unserer sich immer schneller drehenden modernen Welt zu inden, in der
es kaum noch Sicherheiten zu geben scheint. Den militanten Separatistengrup-
pen ist diese Entwicklung natürlich sehr willkommen (sie wurde auch von An-
fang an von ihnen befeuert), denn für sie ist Korsisch, córsu , längst eine unver-
zichtbare Wafe für ihren Kampf gegen den »Kolonisator« Frankreich geworden.
Aus diesem Grund ist es manchmal schwierig zu sagen, wo zu Recht um die ei-
gene Sprache gerungen und wo sie zur ideologischen Indoktrination missbraucht
wird.
Eine Nische, in der das Korsische alle Sprachturbulenzen überleben konnte, ist
die Musik. Lange galt das traditionelle Liedgut als vergessen, begraben irgendwo
in den Gehirnwindungen der Alten, wenn es nicht bereits buchstäblich mit ihnen
ins Totenhäuschen gewandert war. Denn wie die Sprache wurde auch die korsis-
che Musik über Jahrhunderte ausschließlich mündlich überliefert. 1948 hörte der
Musikethnologe Félix uilici durch Zufall bei der Messe im Dorf Rusiu ein
sakrales Stück für drei Stimmen. Später durchstreite er die Insel systematisch auf
der Suche nach uraltem korsischen Liedgut. Auf diese Weise bewahrte er unter
anderem die paghjella vor dem Verschwinden, jenen polyphonen Männergesang,
der heute auf keinem Weltmusikfestival fehlen darf. Damals wurde er nur noch
von wenigen Bauernfamilien praktiziert. Der Wissenschatler nahm den Gesang
auf und präsentierte seine Liedersammlung an der Sommeruniversität von Corte.
Die nationalistisch gestimmten Sprachschützer waren vor den Kopf gestoßen.
Was sie da zu hören bekamen, entsprach so gar nicht ihrer Vorstellung eines
»reinen«, »echten« und heroischen Korsika. Die Lieder klangen rau, bisweilen
sogar disharmonisch. Irgendwie orientalisch, ja viel zu »arabisch« für ihre
Ohren. Ein Hörer einer Radiosendung, in der Félix uilici seine Fundstücke eben-
falls vorspielte, fragte bang: »Was werden die auf dem Festland von uns den-
ken…?« Von wegen Reinheit des korsischen Volkes: Auf Korsika haben im Laufe
der Jahrhunderte eben viele Kulturen ihre Spuren hinterlassen - und sie alle hat-
ten ihre Lieder.
Daran war man nicht gewöhnt. Bisher hate es nur einen korsischen Sänger
gegeben: Tino Rossi. Alle Korsen, ach was, alle Franzosen kannten ihn, jede
Hausfrau konnte seine süßen Melodien beim Wäschewaschen miträllern - auf
Französisch, versteht sich. Der 1907 in Ajaccio geborene Constantin Rossi ist
nicht nur der einzige französische Gesangsstar, der jemals über 300 Millionen
Platten verkaut hat, er war auch ein wahr gewordener Schwiegermutertraum:
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