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elegant, das dunkle Haar mit Pomade zurückgegelt, die Jacke lässig über eine
Schulter gehängt - ein echter Postkartenkorse. Dummerweise war Tino Rossi
aber nicht nur von säuselnden Mandolinenklängen und schmachtenden Gesang-
seinlagen fasziniert, sondern auch von den Faschisten. Seine Karriere als Sänger
und Schauspieler erreichte ihren Höhepunkt während der Besetzung Frankreichs
durch die Nazis. Er war ein Freund des französischen Gestapo-Mannes Etienne
Leandri und fand die irredenta , die Angliederung Korsikas an Mussolinis Italien,
eine prima Idee. Diese Braunfärbung machte ihn vielen Korsen dann doch weni-
ger sympathisch. Aber Kollaborateur hin oder her - direkt nach dem Krieg
landete Tino Rossi mit »Petit Papa Noël« den größten Hit seines Lebens, den
noch heute jedes französische Kind auswendig kann.
Zwei Männer jedoch ließ das musikalische Erbe Korsikas, das Félix uilici aus-
gegraben hate, nicht los. Jean-Paul Poleti und Petru Guelfucci gründeten An-
fang der Siebzigerjahre die Gruppe Canta u Populu Corsu , die - in anderer
Zusammensetzung - bis heute existiert. Anfangs wurden sie und andere tradi-
tionelle Gruppen wie I Muvrini mit ihrer Musik noch als Bauerntölpel verspotet.
Doch mit der Zeit fanden sich immer mehr Anhänger, auch außerhalb Korsikas.
Längst reisen korsische Musiker um die ganze Welt, sie spielen auf Freilutfest-
ivals, in Kirchen und in großen Konzertarenen. 1992 kam der endgültige Durch-
bruch, die Gesänge der Nouvelles Polyphonies Corses wurden bei der Eröfnungs-
feier der Olympischen Winterspiele in Albertville in die ganze Welt ausgestrahlt.
Es ist eine hohe Kunst, die mehrstimmigen paghjelle richtig gut zu be-
herrschen. Sie besteht aus drei Stimmen, die auf vorgegebenen Schemata impro-
visiert werden und disharmonisch übereinanderliegen, zwischendurch aber im-
mer wieder harmonische Dreiklänge bilden. Der Liedtext wird leicht versetzt ge-
sungen, wodurch der Eindruck von Hall erzeugt wird. Das Ganze ist eine
konzentrierte und sensible Angelegenheit, richtig gute Sänger wie die von Bar-
bara Furtura oder A Fileta (es gibt aber noch viele andere) legen tief empfundene
Liebe und Schmerz in ihre Stimmen. In Filmen über Korsika wird ihr Gesang
gerne für Szenen ausgesucht, in denen die Kamera aus der Vogelperspektive über
die schrofe korsische Landschat liegt. Das passt gut, denn die korsischen Poly-
phonien inden Klänge für das, was auch die Berge und Felsen symbolisieren:
Ewigkeit. Man meint, in dieser Musik die Essenz der korsischen Seele erkennen
zu können. Und die ist nun mal nicht fröhlich, sondern melancholisch.
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