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wieder erlaubt. Die Loi Deixonne von 1951 ermöglichte den Gebrauch von lokalen
Sprachen und Dialekten in der Schule, den Universitäten wurde zugestanden,
entsprechende Lehrstühle und Studienabschlüsse zu schafen. Das Gesetz galt al-
lerdings zunächst nur für das Baskische, Bretonische, Katalanische und Okzitan-
ische. Erst 1974 kam das Korsische hinzu. Der Grund: In der ursprünglichen Fas-
sung des Gesetzes wurde das Korsische (ebenso wie das Elsässische) als Dialekt
einer Fremdsprache betrachtet, und zwar des Italienischen. Protest von korsis-
cher Seite gab es damals übrigens kaum.
Die Korsen verloren also ihre Sprache und mussten sich komplet umorientieren.
Ganz schön viel verlangt. Dass die Insulaner sich dennoch anpassten, hate auch
mit dem Zeitgeist zu tun. Französisch war ihr Fenster zur Welt. Spätestens seit
der Französischen Revolution war es die Sprache des modernen, aufgeschlossen-
en und aufgeklärten Menschen. Wer etwas auf sich hielt, parlierte französisch.
Französisch galt als chic, Korsisch als hinterwäldlerisch. Ferdinand Gregorovius
bedauerte das sehr (ein weiterer Grund, warum seine Ansichten heute noch ak-
tuell sind und sein Buch zu Unrecht vergessen ist). Mite des 19. Jahrhunderts
notierte er: »Alle gebildeten Korsen sprechen französisch, und man sagt, gut; die
Modesucht, das Bedürfnis, die Aussicht nach Ämtern nötigt vielen das Französis-
che auf. Mit Bedauern stieß ich auch auf solche Korsen, es waren dies allemal
junge Männer, die ofenbar aus Eitelkeit untereinander französisch sprachen. Ich
konnte mich dann nicht enthalten, mich vor ihnen zu verwundern, daß sie ihre
schöne Landessprache so leichtsinnig gegen die Sprache der Franzosen ver-
tauschten.«
Trotzdem gelang die sprachliche Assimilierung an Frankreich nicht voll-
ständig. Das Korsischverbot ließ den zwischenzeitlich erlahmten Wider-
standsgeist der Korsen wieder aulammen. Der moderne Protest war kreativ: In
den Siebzigerjahren machte ein Grundschullehrer in den Sommerferien eine ei-
gene Korsischschule auf. In dieser scola aperta lernten die Kinder in der ver-
gessenen Sprache lesen, schreiben und singen, ein Modell, das bald viele Nachah-
mer fand. Drei Sommer lang haten die ofenen Schulen trotz einiger Hindernisse
geöfnet, dann verschärte Frankreich seine Repressionen gegen derlei Umtriebe,
und die Schulen mussten ihre Pforten wieder schließen. An der Universität von
Corte passierte Ähnliches. Wobei man »an der Universität« gar nicht schreiben
kann, denn die Uni, die Pasquale Paoli 1765 gegründet hate, war zu diesem Zeit-
punkt seit über 200 Jahren geschlossen. Erst Anfang der Achtzigerjahre wurde sie
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