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Auch darf man annehmen, dass es viel Zeit und Energie kostete, permanent
seine eigene Ehre und die des Clans zu verteidigen. Hinter der Eingangstür stand
jederzeit grifbereit das Jagdgewehr, für die Wildschweinjagd, aber vor allem als
Symbol der Wehrhatigkeit des Hausherrn. Der würde keine Sekunde zögern, von
ihm Gebrauch zu machen, sollte seine Ehre auf dem Spiel stehen. Der bereits er-
wähnte Prosper Mérimée macht sich in seiner berühmten Vendeta-Erzählung
»Colomba« mit mildem Spot über die zum Klischee geronnene Wafenvernar-
rtheit der Korsen lustig. Gleich zu Beginn, der Rächer Oberst Orso della Rebbia
setzt gerade in Begleitung der jungen, blasierten Irin Miss Lydia Nevil und ihrem
Vater vom Festland nach Korsika über, sichten sie durch das Fernrohr mehrere
Inselbewohner. Sie sind in braune Gewänder gehüllt, mit langen Flinten be-
wafnet und galoppieren auf kleinen Pferden über die steilen Hänge. Die Irin dur-
chrieselt ein wohliger Schauder, sie malt sich in den grellsten Farben aus, dass
dies alles Banditen seien oder zumindest Söhne, die den Tod ihrer Väter rächen.
Doch der Korse, der seine Erziehung auf dem Festland genossen hat und deswe-
gen als zivilisiert durchgeht, belehrt sie eines Besseren. Dies seien alles friedliche
Bewohner, die ihre Flinte nicht aus Notwendigkeit trügen, sondern aus Eitelkeit,
»aus Mode, so wie ein Dandy nie ohne einen eleganten Spazierstock ausgeht«.
Die junge Dame indet zwar, dass ein Stilet eine edlere Wafe als ein Gewehr sei,
dennoch ist in ihrer von Klischees gesätigten Vorstellung eine Flinte immerhin
besser als ein Spazierstock: »Sie erinnerte sich, daß alle Helden Lord Byrons
durch die Kugel und nicht durch den klassischen Dolch starben.«
Nun waren die Korsen von damals aber keine archetypischen Phantasiegestal-
ten des spätromantischen englischen Dichters, sondern höchst reale, heißblütige
Hüter ihrer männlichen Ehre. Es war einfach, diese Ehre zu verletzen, es genügte,
das Eigentum eines Korsen in irgendeiner Weise zu beschädigen, sei es seine Ger-
ätschat, seinen Hund oder, in heutiger Zeit, sein Auto. Der gesamte Besitz eines
Mannes ist Symbol dessen, was er als Person wert ist. Von ihm hängt die
Wertschätzung ab, die ihm von seiner Umwelt entgegengebracht wird. So erklärt
sich, warum den Korsen bis heute ein großes Haus oder Auto wichtig ist und
warum selbst die Babys teuer und mit allen Schikanen ausgestatet werden.
Schon die Kleinsten repräsentieren den Rang der Familie und seines männlichen
Vorstandes.
Früher genügten auch ein Blick oder eine absichtliche Berührung der Kleidung
oder der Haare eines Mädchens. So ein Angrif auf ihre Ehre, atacà genannt,
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