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Rolle für sie. Ich dagegen wurde umso nervöser, je weiter ich in der unübersicht-
lichen Schlange vorrückte. War ich endlich an der Reihe, versuchte ich, meine
Bestellung so lässig wie möglich vorzutragen. Ich konnte zwar außer merci oder
bonjour noch kaum ein Wort Französisch, aber ich bemühte mich, die Worte
möglichst authentisch lautmalerisch nachzubilden. Jedenfalls bekam ich
meistens, was ich wollte. Wenn nicht, reichte ich den Zetel über den Tresen,
Monsieur Moriani entziferte ihn und machte mir das gewünschte Fleis-
chpäckchen zurecht. Er lächelte, wobei sich in seinen Augenwinkeln unzählige
Fältchen bildeten. Für mich war das jedes Mal eine Niederlage.
In Vizzavona erreicht die Bahn ihren höchsten Haltepunkt: exakt auf 906 Metern
und 62 Zentimetern über dem Meeresspiegel. Von nun an ging es abwärts durch
das Département Corse-du-Sud, das die Korsen »jenseits der Berge« nennen. Die
Häuser bestehen hier nicht mehr aus dunklem Schiefer, sondern aus dem heller-
en, gröber wirkenden Granit, so wie der Fels, in den die Bahntrasse gehauen
wurde. Wir sind hier auf der terra di signori , dem ehemaligen Land der Feudal-
herren. Anders als »diesseits der Berge« haben sich die Korsen hier nie zu einem
selbstverwalteten Gemeinwesen, der terra di commune , organisiert. Bis heute sind
hier die patriarchalischen Clanstrukturen mächtiger als auf der anderen Seite.
Bald wird das Land lacher, aus den Bergen werden Hügel, dahinter ist das
Meer schon zu erahnen. Dann kommt die Silhouete von Ajaccio in den Blick,
eine imposante Kulisse und ein würdiger Abschluss unserer Bahnfahrt, im
Stadtkern alte Bürgerhäuser, drum herum gruppieren sich vielstöckige moderne
Wohnhäuser. Napoleon hat den Golf von Ajaccio einmal mit dem von Neapel
verglichen. Ganz unrecht hate er damit nicht.
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