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haben. Damit diese entlegenen und größtenteils von Rentnern bewohnten Dörfer
nicht völlig von der Außenwelt abgeschniten sind, werden sie extern mit
Lebensmitteln versorgt. Nach einem ausgeklügelten System machen dort
mehrmals pro Woche an bestimmten Tagen zu bestimmten Uhrzeiten Fleischer,
Obst- und Gemüsehändler und Bäcker mit ihren mobilen Kauläden Station. Um
zu erfahren, wann genau sie dies tun, wendet man sich am besten an den ört-
lichen Bar- oder Cafébesitzer. Manchmal gibt es auch Aushänge am schwarzen
Bret der einzelnen Gemeindebüros. Es ist auf Korsika nämlich so, dass selbst
Ortschaten mit einer Handvoll Einwohnern ihren eigenen Bürgermeister samt
Gemeinderat haben. Ot gibt es zusätzlich auch noch eine fest angestellte
Schreibkrat.
Zu uns ins Dorf kamen jahrelang Monsieur Moriani und seine Frau Monique
mit ihrem Laden auf Rädern. Er, ein großer hagerer Mann, war Fleischermeister
und immer gut gelaunt. Seine Frau war rundlich und rosig und erinnerte ein
wenig an Miss Piggy. Trotzdem kaute ich nicht gerne bei ihnen ein. Das lag
daran, dass meine Eltern mich schon als Sechs- oder Siebenjährige auf den Dorf-
platz schickten, sobald Monsieur Moriani sein Kommen durch zweimaliges Hu-
pen angekündigt hate. Da stand ich dann mit meinem Einkaufszetel, auf dem
unverständliche Dinge wie » 10 x salsiccia «, » 5 tranches côte d'agneau « oder » 1
poulet jaune « aufgelistet waren, und versuchte, mich durch den Pulk alter Frauen
zu kämpfen, die den Wagen bereits umlagerten. Sie redeten wild durcheinander
und drängelten sich rücksichtslos vor. Mit ihren schwarzen Gewändern und
strengen Gesichtern wirkten sie auf mich wie alte Krähen, nicht wie liebevolle
Omas. Das ist natürlich ungerecht, und heute weiß ich, dass die meisten dieser
Frauen ein hartes, arbeitsames Leben hinter sich haten, wo sie neben der Fel-
darbeit, den Kindern und dem Haushalt ot auch noch Gemeindearbeit erledigten
oder sich um kranke oder alte Dorbewohner kümmerten. Sie haten zwei
Weltkriege überstanden und waren noch daran gewöhnt, ihren Männern das
Essen zu servieren und dann hinter ihnen stehen zu bleiben und zu warten, bis
die Familienoberhäupter ihr Mahl beendet haten. Erst danach setzten sie sich mit
ihren Söhnen und Töchtern zu Tisch, wobei auch diesmal die Jungs die besseren
Stücke abbekamen. Aber als Kind denkt man über solche Dinge nicht nach.
Beim Fleischerwagen einzukaufen und mit den anderen Dorbewohnerinnen
ein Schwätzchen zu halten bildete den Höhepunkt des Tages der schwarz
gekleideten Frauen. Wer wann drankam, sein Fleisch zu kaufen, spielte keine
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