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vor Patrimonio zu lesen ist, es seien noch 19 Kilometer bis Bastia, sollte man
nicht glauben, das sei ein Katzensprung. Dazwischen liegt der Teghime-Pass. Er
ist 536 Meter hoch, und hinauf führen einige der abenteuerlichsten Kurven der
gesamten Insel. Wenn Ihr Tacho über längere Strecken mehr als 40 Stundenkilo-
meter anzeigt, heißen Sie entweder Sebastian Vetel oder sind lebensmüde.
Auf dem Scheitel des Passes angekommen, kann es vorkommen, dass Sie
zusätzliche Zeit verlieren, weil Sie Lust verspüren, auszusteigen und sich
umzusehen. Das passiert einem auf den Passstraßen Korsikas öter, denn die Aus-
sichten sind ot einfach zu spektakulär, um an ihnen vorbeizubrausen.
Im Fall des Teghime-Passes blickt man auf der Ostseite auf den spiegelglaten
Etang de Bigulia, ein Küstengewässer und Vogelschutzgebiet vor Bastia. Auf der
Westseite erstreckt sich malerisch das Weinanbaugebiet von Patrimonio, das in
den sant geschwungenen Golf von St.-Florent mündet. Ein Denkmal auf der
Passhöhe erinnert an die Schlacht von Teghime im Zweiten Weltkrieg: Ein
vierzehnjähriger korsischer Junge führte im Herbst 1943 von der Désert des Agri-
ates, einer steinigen Macchia-Wüste auf der Westseite der Insel, aus eine Einheit
marokkanischer Soldaten der französischen Armee auf Schleichwegen auf diese
Passhöhe, die von den Deutschen gehalten wurde. Nach einem erbiterten Kampf
wurde der Col de Teghime von den Franzosen eingenommen, und der Weg nach
Bastia war frei, worauhin Charles de Gaulle Korsika am 4. Oktober 1943 zum
»ersten befreiten Stück Frankreich« ausrufen konnte. Auf dem Monument sind
die Namen der zahlreichen Gefallenen eingraviert. Immer wenn ich einen Korsen
auf Marokkaner schimpfen höre - und das passiert leider nicht gerade selten -,
muss ich an diese Männer denken, die für die Befreiung der Insel und ganz
Frankreichs ihr Leben gelassen haben.
Es könnte aber auch sein, dass einen aus einem ganz anderen Grund das drin-
gende Verlangen überkommt, aus dem Auto auszusteigen: wenn die Kurven dafür
gesorgt haben, dass der Magen rebelliert. Als Kind kam ich nur mit Tableten
über die wortwörtlichen Runden. Ich nannte die Pillen, nicht unbedingt logisch,
»Schlechtwerde-Tableten« und schluckte die erste direkt bei Ankunt am Hafen
von Bastia. Ich hasste sie, denn mir wurde schummrig, sodass ich beim an-
schließenden Einkauf auf dem Wochenmarkt nichts weiter tun konnte, als wil-
lenlos hinter meinen Eltern herzutapsen. Das war auch insofern ein Nachteil, als
ich zu benebelt war, um aktiv zu beeinlussen, welche Leckereien gekaut wurden
( canistrelli , eine Art süßes korsisches Shortbread, Macchia-Honig) und was nicht
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