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Hühnern, Käselaibern und allerhand anderen Waren, die die Bauern auf dem
Markt verkaufen wollten, vollgestopt waren. Sie zuckelte auf Eselsfuhrwerken
über Feldwege, stieg zu Fuß auf Berge und schlug Pfade durch die Macchia. Auf
der feuchtwarmen Ebene des Ostens war sie dankbar, als man ihr ein Töpfchen
mit Creme gegen juckende Mückenstiche schenkte, sie schlief in Schafställen und
aß, was die Insel hergab. Sie forderte nichts - und bekam gerade deshalb alles.
Sie war die ideale Reisende, weil sie ofen war und mit allen Sinnen jedes noch
so kleine Detail in sich aufnahm. Sie war eine genaue Beobachterin und fällte
niemals ein vorschnelles Urteil, sie versuchte, die Siten der Einheimischen zu
verstehen und sich mit ihren Umgangsformen vertraut zu machen. Sie saugte
alles über die Geschichte Korsikas auf und begegnete noch dem ärmsten und in
Aberglauben verstrickten Bergbewohner voller Hochachtung und Respekt. Die
Korsen dankten es ihr, indem sie ihre Häuser für sie öfneten - und, viel wichti-
ger, ihre Herzen.
Gleich nach ihrer Ankunt ließ sich Dorothy Carrington die vergessenen Stein-
statuen zeigen, von denen der korsische Kellner berichtet hate. Sie machte sich
keine großen Hofnungen, tatsächlich auf etwas Außergewöhnliches zu stoßen.
Was da auf dem weitläuigen Grundstück von Charles-Antoine Cesari in der
Nähe des Weilers Filitosa herumlag, konnte schließlich alles Mögliche sein. Sehr
wahrscheinlich, sagte sie sich, handelt es sich um irgendwelche Felsbrocken, die
zufällig eine erkennbare Gestalt haben. Doch es kam anders. Sie liefen durch
eine, wie Carrington später notierte, »arkadische Landschat, in der nur ein Flöte
spielender Schäfer fehlte, um das Bild perfekt zu machen«. Die großen, knorrigen
Olivenbäume schienen aus einer anderen Zeit zu stammen, dazwischen lagen,
zwischen knietiefen Gräsern verteilt, riesige Felsblöcke verstreut, in die die Ero-
sion zahlreiche Hohlräume und Groten gewaschen hate. Man konnte sich leicht
vorstellen, dass hier in vorzivilisatorischen Jahrtausenden Menschen Untersch-
lupf gesucht haten. Dann, inmiten santer Hügel und unweit eines
plätschernden Bächleins, entdeckte sie ihn: einen ungefähr zwei Meter langen
Granitblock, der ohne Zweifel von Menschenhand bearbeitet worden war. Er
stellte eine Figur dar, mit einem großen runden Kopf, deutlich sichtbaren Ohren
und eng zusammenstehenden Augen. Mund und Nase waren nur angedeutet, der
Körper war kaum gestaltet. In der Vertikalen wurde er von einem länglichen Ge-
genstand unterbrochen. Kein Arm, sondern, wie Dorothy Carrington auf den er-
sten Blick richtig vermutete, ein stilisiertes Schwert. Diese Statue war nicht die
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