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Sie blieb und wurde in den folgenden fünf Jahrzehnten so etwas wie die inof-
izielle, allseits respektierte und geliebte Botschaterin Korsikas. Sie muss eine
beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein, stets freundlich und bescheiden,
aber mit einem wachen Geist und einem unverwechselbar britischen Upperclas-
sakzent. Im Januar 2002 starb die Lady im Alter von 91 Jahren in Ajaccio, ein her-
ber Verlust für das geistige Leben auf der Insel, der nicht nur den korsischen Zei-
tungen, sondern auch der französischen »Libération« und dem englischen
»Guardian« einen Nachruf wert war. Wenig verwunderlich, hate sie doch ein
beeindruckendes Lebenswerk als Historikerin, Ethnologin und Journalistin hin-
terlassen. Sie war nicht nur hochdekoriert mit akademischen Titeln und Mitglied-
schaten (Ehrenprofessorin der Universität von Corte, Mitglied der Royal Historic-
al Society und Chevalier de l'Ordre des Arts et des Letres ). Ihr ist es auch zu verd-
anken, dass die Welt von der prähistorischen Megalithkultur auf Korsika Notiz
nahm. Dorothy Carrington interessierte sich aber nicht nur für die vier
Jahrtausende zurückliegende Geschichte, sondern auch für vergleichsweise junge
Vorgänge: Sie grub in einem korsischen Archiv die demokratische Verfassung
Pasquale Paolis aus dem Jahre 1755 aus und machte dieses erstaunliche Doku-
ment auch außerhalb Korsikas bekannt. Sie war Korrespondentin verschiedener
Zeitungen und schrieb Bücher über ihre Reisen auf Korsika, über die Mega-
lithkultur, über Charles Bonaparte, Napoleons Vater und über die mezzeri , jene
mythenumrankten Seher mit den magischen Fähigkeiten. Leider sind Dorothy
Carringtons Werke, wenn überhaupt, heute nur noch antiquarisch erhältlich.
Und dann auch nur im englischen Original oder auf Französisch. Ins Deutsche
wurden sie nie übersetzt.
Es ist schon kurios, dass ausgerechnet eine britische Adelige, die in einem
düsteren viktorianischen Schloss aufgewachsen ist und als junge Frau Teil des in-
ternationalen Bohemezirkels um Gertrude Stein, Elias Caneti und Pablo Picasso
gewesen war, den Korsen beibrachte, dass es keine Schande ist, stolz auf die ei-
genen Schätze und Traditionen zu sein. Vermutlich benötigten die Korsen dafür
einen unbestechlichen Blick von außen, den Blick einer Fremden, die bereit war,
sich geduldig und selbstlos mit allen Faceten der Insel zu befassen.
Damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, war es sehr mühsam, Korsika zu
bereisen. Hotels, gar welche mit eigenem Bad, gab es nur in den größeren
Städten, auf dem Land war man auf die Gastfreundschat der Einheimischen an-
gewiesen. Dorothy Carrington fuhr mit altersschwachen Überlandbussen, die mit
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