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Trotz allem darf man nicht vergessen, dass die Mehrheit der Korsen nichts mit
den Nationalisten zu tun hat und jegliche Verbrechen, auch im Namen des Na-
tionalismus, ablehnt. Mehr als 40000 Demonstranten gingen nach dem Mord an
Claude Érignac in Ajaccio und Bastia auf die Straße, um gegen die Gewalt zu
demonstrieren.
Um herauszuinden, wie junge Korsen heute zum Nationalismus stehen, besuche
ich Gérard und Didier, zwei sympathische Brüder Anfang dreißig, die ein
Strandrestaurant führen. Immer zu Scherzen aufgelegt, schätzen sie das süße
Leben. Sie essen gerne gut, feiern Partys und bewirten in ihrem Restaurant lieber
hübsche Mädchen als aus der Form geratene FKK-Touristen. Der Ältere, Didier,
ist obendrein noch Biolandwirt und engagiert sich politisch. Der Jüngere, Gérard,
hat Graikdesign studiert und gibt an der Volkshochschule und der Uni Com-
puterkurse. Sie haben einen Boxclub gegründet, sind Fußballfans und engagieren
sich für die Hinterbliebenen der Fußballkatastrophe von Furiani. Beide sind noch
unverheiratet. Kurzum, auf dem französischen Festland wären die Brüder mod-
erne junge Männer, die dabei sind, etwas aus ihrem Leben zu machen. Auf Kor-
sika jedoch führen sie eine zerrissene Existenz. Sie haben gute Jobs, viele Freunde
und eine große Familie, aber sie fühlen sich bedroht.
Bedroht wovon? »Von der modernen Gesellschat«, sagt Didier, »so, wie die
Indianer sich bedroht fühlten.« Ist dieser Vergleich nicht ein wenig übertrieben?
Die Indianer wurden praktisch ausgerotet, das wird den Korsen heute nicht
mehr passieren. Im Gegenteil, als Franzosen proitieren sie vom französischen
Sozialstaat und werden großzügig subventioniert. »Unsere Kultur ist in Gefahr«,
insistiert Didier. Besonders in Bedrängnis sei die korsische Sprache, in der Schule
würden junge Korsen mit der französischen Kultur »imprägniert«, früher habe es
wenigstens viele korsische Lehrer gegeben, aber heute komme der Großteil vom
Festland, das sei Teil der »Kolonisation« durch Frankreich. Spricht er selbst Kor-
sisch? Didier druckst herum. »Ich verstehe es«, sagt er dann und fügt entschuldi-
gend hinzu, dass seine Muter kein Korsisch könne, weil sie in Paris aufgewach-
sen sei. Später erfahre ich, dass die Brüder sehr darunter leiden, dass ihre poly-
glote maman ihnen keine typisch korsischen Namen gegeben hat. Statdessen
müssen sie nun mit den urfranzösischen Namen Gérard und Didier durchs Leben
gehen, ein herbes Schicksal für stolze Korsen.
Welche Elemente sind prägend für eine korsische Identität? Wohin führt die
grassierende Gewalt? Gibt es wirklich eine Maia auf Korsika? Didiers Antwort
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