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dass »der französischen Polizei die Verhatung von Yvan Colonna, dem Mörder
des Präfekten Érignac«, gelungen sei. Er sagte diesen Satz, ohne die übliche
Wendung »mutmaßlicher Mörder« zu benutzen. Eine glate Vorverurteilung und
eine Missachtung der demokratischen Spielregeln, denn zu diesem Zeitpunkt war
Colonna ja noch von keinem Gericht schuldig gesprochen worden. Dieser Faux-
pas war natürlich Wasser auf den Mühlen der korsischen Nationalisten, die sich
sowieso grundsätzlich benachteiligt fühlen.
Was genau der Auslöser für die Radikalisierung Yvan Colonnas war, ist schwer
zu sagen. Warum wird jemand, der in einem ofenen, demokratischen Land
aufwächst und zeit seines Lebens allen möglichen positiven Einlüssen von außen
ausgesetzt war, ein militanter Nationalist? Woher kommt die übersteigerte Sehn-
sucht nach kultureller Reinheit, die in Wahrheit natürlich nur eine Chimäre ist?
Sicher, jeder Mensch sehnt sich danach, Teil einer starken Gemeinschat zu sein.
Und natürlich ist es ein gutes Gefühl, wenn man sich auf der »richtigen« Seite
wähnt und gegen ein klar umrissenes Feindbild stemmen kann. Aber warum ver-
lieren einige dabei jegliches Maß und stürzen sich in eine Wahnwelt, die keine
Zwischentöne kennt, in der es nur Schwarz oder Weiß gibt?
Das Kuriose an diesem speziellen Fall ist: Eigentlich ist der 1960 geborene Co-
lonna nicht einmal ein Vollblutkorse. Sein Vater stammt zwar von der Insel, doch
seine Muter ist aus der Bretagne. Er verlebte seine prägenden Jugendjahre auch
gar nicht auf Korsika, sondern auf dem Kontinent, weil sich seine Familie in
Nizza niedergelassen hate. Nach dem Abitur studierte er dort und absolvierte
seinen Militärdienst bei der Feuerwehr in Paris. Doch dann kam die Wandlung,
er zog nach Cargèse, ein Dorf an der südlichen Westküste Korsikas, und ergrif
einen urkorsischen Beruf: Er wurde Hirte und widmete sich fortan der Aufzucht
von Ziegen. Zu dieser Zeit schloss er sich der FLNC an, die ihre martialischen
Pressekonferenzen gerne vermummt an geheimen Orten miten in der Macchia
abhält. Irgendwann muss in ihm der wahnwitzige Plan gereit sein, den
ranghöchsten Repräsentanten Frankreichs auf der Insel kaltblütig zu ermorden.
In einigen Teilen der korsischen Gesellschat ist die Solidarität mit Colonna bis
heute ungebrochen. Es gibt einen Yvan-Colonna-Song auf YouTube, eine Face-
bookseite, ein Komitee zu seiner Unterstützung hat eine Internetseite für ihn ein-
gerichtet. 2013 ist er mit seinem Fall außerdem vor den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte gezogen.
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