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Zu dessen Lebzeiten Anfang des 20. Jahrhunderts war es selbst für die armen,
vom Rest der Welt abgeschnitenen Bewohner der korsischen Bergdörfer selb-
stverständlich, sich auch französisch zu fühlen. Allerdings hat das Wörtchen
»auch« große Bedeutung. Culioli beschreibt eine dramatische Szene, als die Män-
ner seiner Familie im Ersten Weltkrieg für Frankreich gegen die Deutschen käm-
pfen. Sie sind gute französische Soldaten, mutig, kampfeslustig und patriotisch,
aber als ein korsischer Soldat namens Claude erschossen werden soll, weil er ver-
sucht hat zu desertieren, rebellieren sie. Sie inden, er habe den Tod nicht
verdient, er sei verwirrt gewesen, weil er die schreckliche Nachricht erhalten
habe, dass sein Kind gestorben sei. Sie weigern sich, ihn auf dem Schlachtfeld
hinzurichten, und stimmen als Zeichen ihres Widerstandes ein ganz bestimmtes
Lied an: »Die korsische Hymne stand plötzlich wie ein Regenbogen über dem
Schauspiel des Todes, ›Diu vi Salvi Regina‹… Sie erfüllte die Lut und umgab die
kleine, ganz vorn allein im Schlamm stehende Gestalt. Der Oizier brüllte, um
sich Gehör zu verschafen. Doch das Klicken der Hinterlader schien den Gesang
kaum zu stören. Seine Intensität schwoll an. In den Korsen lammte eine
wahnsinnige Hofnung auf. Und wenn Claude krat ihrer Hofnung doch noch
geretet würde? Selbst die Schüsse ließen das Lied nicht verstummen. Die Stim-
men schwankten kurz, als der graue Schaten in der Ferne auf den Boden sank,
aber dann wurden sie wieder fest, um der Stille des Todes keinen Raum zu
lassen.«
Die korsischen Soldaten beteten den Leichnam anschließend in den Schützen-
graben und bedeckten ihn mit einem Tuch. Darauf haten sie geschrieben: »Fran-
zose bis zum Tod, Korse bis in die Ewigkeit«.
Drei große Erschüterungen sorgten in den vergangenen beiden Jahrhunderten
für die schritweise Entfremdung Korsikas von Frankreich. Der erste Dämpfer er-
folgte 1881, als die ohnehin sehr fragile korsische Wirtschat infolge der industri-
ellen Revolution in eine Krise trudelte. Immer mehr Korsen waren gezwungen
auszuwandern, viele setzten sich nach Nord- und Südamerika ab, wo sie es zu
einigem Wohlstand brachten. Noch heute zeugen in vielen Dörfern am Cap
Corse, etwa in Pino, Erbalunga, San Martino di Lota oder Ghilfucci, prächtige Vil-
len von diesen Erfolgsgeschichten. Sie werden maisons d'Américains - »Häuser
der Amerikaner« - genannt. Deren Erbauer kehrten nach einigen Jahren in der
Fremde auf ihre Insel zurück, und da sie zeigen wollten, dass etwas aus ihnen ge-
worden war, bauten sie sich herrschatliche Palazzi im toskanischen Stil. Sie sind
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