Travel Reference
In-Depth Information
Es ist ein ofenes Geheimnis, dass sich zwei große Familien die Macht auf der In-
sel teilen. Im Süden herrscht die grande famille Rocca Serra, die ihren Stammsitz
in Sartène hat und politisch eher rechts steht, im Norden die Giacobbi-Familie,
die eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind. Aber eigentlich spielt die
Parteizugehörigkeit keine Rolle, denn die Politik dieser Clans folgt keiner polit-
ischen Couleur, sondern richtet sich nach dem, was gerade ansteht. Übergeord-
netes Ziel ist allein der Machterhalt der eigenen Familie. Der wird gesichert
durch ein undurchschaubares Gelecht an gewährten Vorteilen, geschuldeten Ge-
fallen und erwiderten Diensten. Das Prinzip ist so einfach wie efektiv: Eine
Hand wäscht die andere. Wobei selbstverständlich die Hände der ganzen Familie
und selbst die entfernter Verwandter mitgewaschen werden. Besorgt der
Clanchef dem Nefen einen Job, ist dessen Familienzweig eine Gegenleistung
schuldig. Braucht man eine Baugenehmigung, wendet man sich ebenfalls ver-
trauensvoll an den Clanchef der Region. Er wird sie organisieren, erwartet aber
bei den nächsten Wahlen nicht nur die Stimme des Bitstellers, sondern auch die
von dessen Frau und den erwachsenen Kindern. Logisch, dass diejenigen die
meisten Vorteile versprechen können, die an einlussreichen Stellen sitzen, zum
Beispiel als Bürgermeister oder als Abgeordneter. Ihre Wiederwahl ist damit so
gut wie sicher.
Das hat zur Folge, dass die demokratische Errungenschat der Wahlfreiheit auf
Korsika sehr unorthodox gehandhabt wird: 1967 wurden in Bastia von 4303 wahl-
berechtigten Bürgern 9647 Stimmen abgegeben (immerhin wurden sie ausgezählt
und nicht, wie auch schon geschehen, die ganze Urne ungeöfnet ins Meer
gekippt - der Sieger stand ja ohnehin schon fest). 1973 stimmten in dem winzi-
gen Dorf San Damianu 6000 Personen für ein und denselben Kandidaten - dabei
gab es dort lediglich 160 Wahlberechtigte. Ein Wunder? Nun, es gibt viele Mög-
lichkeiten, die Wahllisten aufzublasen. Darauf verzeichnet ist zum Beispiel ein
Filippi, Jean und ein Filipi, Jean. Sollte jemand auf den Gedanken kommen, dass
es sich hierbei um ein und dieselbe Person handelt, kann man sich immer noch
mit einem Schreibfehler entschuldigen. Oder man führt die Listen wie anno dazu-
mal mit dem Bleistit und nicht mit dem Computer. Sie werden dadurch sozus-
agen übervollständig, was dem Bürgermeister gestatet, über eine gewisse Anzahl
von Stimmen frei zu verfügen. Und wer weiß schon genau, wie viele Einwohner
so ein Nest in den Bergen wirklich hat? Die Bürgermeister übertreiben gern bei
den Angaben, denn von der Zahl der Bewohner hängen nicht zuletzt die staat-
Search WWH ::




Custom Search