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lichen Subventionen ab. 1992 wollte man dem Wahlbetrug endlich den Garaus
machen und strich die Listen rigoros zusammen. Danach gab es zwar auf einmal
25 Prozent weniger Wähler, was aber nicht heißt, dass es in den korsischen Dör-
fern vor Wahlen nicht mehr zu spektakulären demograischen Verschiebungen
käme. Auf einmal haben Ortschaten 41 Prozent mehr Einwohner, zuletzt ges-
chehen in Cardo-Torgia im Süden, wo aus 35 Wählern plötzlich 72 wurden. Eine
beliebte Technik, die Wahllisten zu frisieren, besteht darin, auch jene Mitglieder
eines Clans hineinzuschreiben, die längst nicht mehr in der besagten Kommune
wohnen. Die Korsen sind ihren Dörfern eben wahnsinnig eng verbunden, und
Heimatliebe ist ja wohl kein Verbrechen, oder?
Und genügt das alles nicht für die erforderliche Anzahl von Stimmen, lässt
man eben die Toten wählen. Die Logik ist folgende: Die Alten werden auf Korsika
mit Respekt behandelt, da ist es nur konsequent, dass den ganz Alten, also den
Verstorbenen, auf besondere Weise gehuldigt wird. Sie sind ja in gewisser Weise
immer noch da, in der Erinnerung und auf zahlreichen Fotograien - also haben
sie auch das Recht, sich einzumischen. Oder wie soll man den früheren Bürger-
meister von Pietroso, einer Gemeinde im nördlichen Teil von Korsika, sonst ver-
stehen, der den Vorwurf des Wahlbetrugs mit den Stimmen längst Verstorbener
wie folgt beiseitewischte: »Ich lasse doch keine Toten wählen, ich führe nur ihren
letzten Willen aus.«
Auf diese Weise haben die Clans über zwei Jahrhunderte alle von Frankreich aus-
gehenden Modernisierungsschübe überstanden. Ihre Macht stammt noch aus den
Zeiten der politischen Instabilität. Die Familie, die Verwandtschat und deren
Beziehungen untereinander waren die einzigen Garanten für Sicherheit. Damals
machten die jeweiligen fremden Herrscher sich diese Feudalstrukturen zunutze
und verschaten den ihnen ergebenen Familien Pfründe. In neuerer Zeit sind die
Rocca Serras, die Giacobbis, die Gavini oder die Da Mare die Erben dieser Feudal-
herren - nur im demokratischen Gewand. Sie sind gewählte Volksvertreter, aber
auf welche Weise sie auf ihre Posten gelangten und welche Absprachen dafür
nötig waren, darüber spricht niemand öfentlich. Googeln Sie spaßeshalber mal
den Namen Rocca Serra, Sie werden staunen, in wie vielen unterschiedlichen
politischen Zusammenhängen dieser Name autaucht. Die Familie scheint aus-
schließlich Politiker hervorzubringen. Geborene Staatsmänner, im wahrsten
Sinne des Wortes…
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