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ungsgruppe aus diesem Bund aus, weil sie sich aufgrund ihrer Sprache oder Kul-
tur der »Willensnation« nicht zugehörig fühlt, stellt das gleich das ganze System
infrage. In dem Augenblick, in dem die Korsen keine hundertprozentigen Fran-
zosen mehr sein wollen, werden sie zur ernsthaten Bedrohung für die Republik.
Allerdings genießen etwa Elsass-Lothringen oder die französischen Überseegebi-
ete seit Langem Autonomie- und Sonderstatuten, ohne dass die Einheit
Frankreichs in Gefahr geraten wäre. Auch auf Korsika gab es schon vor den
Autonomiegesetzen von 1982, 1991 und 2002 Sonderregelungen. So blieben der
Insel nach ihrer Annexion durch Frankreich einige Grundsätze aus der Zeit der
genuesischen Herrschat erhalten, etwa die kostenlose Justiz und ein besonderes
Steuersystem. Mit den Arrêtés Miot von 1801 wurden Korsika Steuerprivilegien
zugestanden, die bis 1999 in Krat waren, unter anderem die Befreiung von der
Gewerbesteuer für Gemeinden mit weniger als 1 800 Einwohnern, der Erb-
schatssteuer sowie ein geringerer Einfuhrzoll für Lebensmitel. 1994 erhielt Kor-
sika ein besonderes Steuerstatut, 1996 wurde die Insel zur zollfreien Zone erklärt.
Doch die Korsen sind widerspenstiger, als es sich die französische Regierung in
ihren wildesten Träumen ausgemalt hat. Jospins konservativer Nachfolger im
Amt, Jean-Pierre Rafarin, stellte ein weiteres Statut vor, zu dessen zentralen
Punkten die Beendigung der administrativen Zweiteilung der Insel zugunsten
einer einzigen Region gehörte. Allerdings verwarfen die Korsen diese Idee 2003
in einer Volksabstimmung mit 50,98 Prozent - worauf man in Paris das hema
mal wieder ad acta legte und die FLNC vier Ferienhäuser in die Lut sprengte.
Kurioserweise ist es aber gar nicht so, dass die Korsen sich nie französisch ge-
fühlt häten. Im Gegenteil, korsisches Regionalbewusstsein und das Bewusstsein,
Teil der französischen Republik zu sein, schlossen sich, geschichtlich gesehen, ge-
genseitig keineswegs aus. Nachdem die Insel im 18. Jahrhundert mit Wafenge-
walt von Frankreich erobert worden war, folgte im 19. Jahrhundert unter der
Herrschat von Napoleon III., der von den Korsen vergötert wurde, eine Periode
der Sicherheit und Integration, in der die Zugehörigkeit Korsikas zu Frankreich
kaum noch infrage gestellt wurde. Die Korsen proitierten ohne Zweifel von
dieser Zugehörigkeit, bis heute sind sie überall im Land in führenden politischen
und administrativen Funktionen tätig. Und auch die Clans wussten sich die
Mechanismen der bürokratischen Herrschat Frankreichs über Korsika für ihre
eigene Machtabsicherung zunutze zu machen.
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